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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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hinuntergestürzt hatte, als ob er halb verdurstet gewesen wäre, setzte Evan das unauffällige Verhör fort.
    »Willie gesehen?« fragte er noch einmal.
    »Heut noch nich, Sir.« Das »Sir« war offenbar eine Art Dankeschön für den Wein. Der Name fiel Tom immer noch nicht ein. »Was wollen Se denn von dem? Vielleicht kann ich Ihnen ja helfen?«
    »Ihn warnen«, log Evan. Statt Tom anzusehen, stierte er verbissen in seinen Krug.
    »Wegen was?«
    »Drüben im Westen läuft 'ne üble Geschichte. Soll jemand dafür drankriegen, und ich kenn doch Willie!« Evan hob plötzlich den Kopf und lächelte. Es war ein wundervolles Lächeln, absolut unschuldig und gutmütig. »Ich will nicht, daß ihm was passiert, würd' ihn vermissen.«
    Tom gluckste anerkennend. Er war zwar nicht völlig sicher, aber dieser nette junge Bursche hier mußte entweder ein Bulle sein oder wenigstens doch einer, der die Bullen mit wohlüberlegten Informatiönchen fütterte. Er würde selbst nicht davor zurückschrecken, sofern er welche anzubieten hätte - gegen die entsprechende Entschädigung natürlich. Nichts, was mit normaler Klauerei zu tun hatte - die gehörte schließlich zum Leben dazu -, aber Hinweise auf Fremdlinge im Revier zum Beispiel oder Tips bezüglich brenzliger Sachen, die eine Menge unliebsame Aufmerksamkeit seitens der Polizei nach sich zogen, wie Mord, Brandstiftung oder schwere Fälschung, was die wichtigen Typen oben in der City immer besonders aufzuregen schien. So etwas verdarb einem die täglichen Einnahmequellen: kleine Einbrüche, Straßenraub, geringfügige Geld oder Urkundenfälschung. Problematisch, gestohlene Ware an den Mann zu bringen oder schwarzgebrannten Schnaps zu verkaufen, wenn überall die Polizei rumhing. Der Schmalspurschmuggel über den Fluß litt genauso darunter wie Glücksspiele, Falschspielerei, Hochstapelei, kleine Betrügereien auf dem Gebiet des Sports - das Boxen mit bloßen Fäusten etwa und, nicht zu vergessen, die Prostitution. Wenn Evan ihm zu einer dieser Branchen Fragen gestellt hätte, hätte Tom sich gekränkt gefühlt und ihm das auch gesagt. Die Unterwelt verdiente mit derlei Geschäften ihr tägliches Brot, und niemand hatte das Bedürfnis, sie auszumerzen.
    Trotzdem gab es Dinge, die man einfach nicht tat. Dämliche und ausgesprochen unfaire Dinge gegenüber denen, die nur dadurch über die Runden kamen, daß man ihnen so wenig wie möglich auf die Finger sah.
    »Was für 'ne üble Geschichte issn das, Sir?«
    »Mord«, sagte Evan feierlich. »Ausgerechnet die Tochter von 'nem ziemlich wichtigen Typen. Ist in ihrem eigenen Schlafzimmer erstochen worden, von einem Einbrecher! So ein Idiot…«
    »Nix davon gehört.« Tom klang pikiert. »Wann soll 'n das gewesen sein? Niemand hat 'n Wort drüber verloren!«
    »Letzte Nacht.« Evan nahm einen Schluck Apfelwein. Irgendwo links von ihm erscholl brüllendes Gelächter. Jemand verkündete lautstark die Gewinnchancen für ein Pferd, das todsicher das Rennen machen würde.
    »Nix davon gehört«, wiederholte Tom trübsinnig. »Wie kommt einer überhaupt auf so 'ne blöde Idee? Is doch bescheuert! Wozu die Lady abmurksen? Man kann ihr ja 'n Kinnhaken versetzen, wenn's unbedingt sein muß, wennse zum Beispiel wach wird und 'n Mordsgeschrei macht. Aber wer soviel Krach macht, daß jemand aufwacht, ist sowieso 'n dämlicher Hammel.«
    »Und dann auch noch zustechen!« Evan schüttelte verständnislos den Kopf. »Warum konnte er ihr nicht einfach eine runterhauen, wie Sie sagen? Hätt' sie ja nicht gleich umbringen müssen. Jetzt ist natürlich die Polizei vom ganzen Westend auf den Beinen.« Eine glatte Übertreibung, zumindest jetzt noch, aber sie erfüllte ihren Zweck. »Noch Wein?«
    Wieder schob Tom ihm als Antwort seinen leeren Krug hin, und Evan stand auf, um das Angebot wahr zu machen.
    »Willie würd so was nich tun«, sagte Tom, als er zurückkam.
    »Der is nich blöd.«
    »Wenn ich das glauben würde, würd ich ihn nicht warnen wollen«, gab Evan zurück. »Ich würd ihn einfach baumeln lassen.«
    »Ja«, stimmte Tom düster zu. »Aber wann, ha? Erst nachdem die Bullen hier alles überschwemmt haben, die Leute ganz aus'm Häuschen und die Geschäfte fürs erste beim Teufel sind!«
    »Genau.« Evan verbarg sein Gesicht in seinem Krug. »Also, wo steckt er?«
    Tom zierte sich nicht länger. »Mincing Lane«, sagte er mürrisch. »Wenn Sie heute abend 'ne Stunde oder so dort warten, kommt er irgendwann an dem Pastetenstand vorbei. Mann,

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