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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sowohl über die Antipathie zwischen Monk und seinem Vorgesetzten als auch über ihre Ursache im Bilde. Mit Monk war nicht leicht zusammenzuarbeiten; er war eigensinnig, ehrgeizig, folgte seiner Intuition, hatte eine scharfe Zunge und einen beißenden Humor. Andererseits war er ein leidenschaftlicher Verfechter der Gerechtigkeit - oder dessen, was er dafür hielt - und scherte sich wenig darum, wem er zu nahe trat, wenn er sich für etwas einsetzte. Er hatte absolut kein Verständnis für dumme Menschen, zu denen Runcorn seiner Ansicht nach zählte. Ein Standpunkt, aus dem er bislang kein großes Geheimnis gemacht hatte.
    Auch Runcorn war ehrgeizig, verfolgte jedoch andere Ziele. Er war auf gesellschaftliches Ansehen, auf den Beifall seiner Vorgesetzten und vor allem auf Sicherheit aus. Die wenigen Triumphe über Monk waren ihm ein Hochgenuß, der bis ins letzte ausgekostet werden mußte.
    Sie befanden sich inzwischen in der Queen Anne Street, inmitten von Häusern von unaufdringlicher Eleganz, mit schönen Fassaden, hohen Fenstern und imposanten Portalen. Sie stiegen aus, Evan bezahlte den Kutscher, dann begaben sie sich zum Dienstboteneingang von Nummer 10. Es nagte zwar am Selbstwertgefühl, die Kellertreppe hinunterzusteigen, statt hinauf durch den Portikus zum Haupteingang zu wandeln, war aber weniger erniedrigend, als von einem hochnäsigen, livrierten Lakai der Tür verwiesen und nach hinten geschickt zu werden.
    »Ja?« fragte ein ernüchternd sachlicher Stiefelbursche mit teigiger Gesichtsfarbe und verknitterter Schürze.
    »Inspektor Monk und Sergeant Evan. Wir möchten Lord Moidore sprechen«, erwiderte Monk ruhig. Wie immer es mit seinen Empfindungen für Runcorn oder seiner niedrigen Toleranzgrenze für dumme Menschen auch bestellt war, bei Trauerfällen und dem damit verbundenen Schmerz der Hinterbliebenen legte er erstaunliches Mitgefühl an den Tag.
    »Oh -« Der Stiefelbursche machte ein entsetztes Gesicht, als wäre durch ihr Erscheinen plötzlich ein Alptraum wahr geworden. »Ja - sicher. Kommen Sie doch rein.« Er riß die Tür weit auf, wich einen Schritt zurück, drehte sich in Richtung Küche um und rief in verzweifeltem, jammerndem Ton: »Mr. Phillips! Mr. Phillips, die Polizei is hier!«
    Aus dem hinteren Teil des großen Raumes tauchte der Butler auf. Er war dünn und ging eine Spur gebeugt, besaß aber die herrischen Züge eines Menschen, der es gewohnt war zu befehlen - und dem widerspruchslos gehorcht wurde. Er musterte Monk mit einem zugleich besorgten und widerwilligen Blick sowie einem gewissen Staunen angesichts seines gutgeschnittenen Anzugs, des sorgfältig gestärkten Hemdes und der eleganten, glänzenden Stiefel. Monks Erscheinungsbild vertrug sich nicht mit seiner Vorstellung von der gesellschaftlichen Stellung eines Polizisten, die irgendwo unterhalb der eines Hausierers oder Straßenverkäufers rangierte.
    Dann heftete er seinen Blick auf Evans Gesicht mit der langen, gebogenen Nase, den wachen Augen und dem beweglichen Mund und fühlte sich kein bißchen besser. Es bereitete ihm Unbehagen, wenn Leute nicht in die für sie vorgesehene Schublade paßten. Es war überaus verwirrend.
    »Sir Basil wird Sie in der Bibliothek empfangen«, sagte er steif. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen.« Ohne abzuwarten, ob sie es taten, marschierte er sehr aufrecht aus der Küche. An die Köchin, die in einem hölzernen Schaukelstuhl saß, verschwendete er keinerlei Aufmerksamkeit. Sie gingen durch den hinter der Küche liegenden Flur, vorbei an der Kellertür, des Butlers Domizil, der Vorratskammer, der Tür zum Waschraum, dem Wohnzimmer der Haushälterin - und traten schließlich durch eine mit grünem Fries bespannte Tür ins eigentliche Haupthaus.
    Der Parkettfußboden der Halle war mit wunderschönen Perserteppichen bedeckt. Die Wände waren bis auf Schulterhöhe vertäfelt und mit erstklassigen Landschaftsmalereien geschmückt. Monk wurde blitzartig von einer Erinnerung aus einer fernen Zeit überfallen, vermutlich handelte es sich um irgendein Detail eines Einbruchsdiebstahls, und hatte plötzlich das Wort flämisch im Kopf. Es gab noch so vieles, das in jenem Teil seines Ichs eingeschlossen war, der vor dem Unfall existiert hatte. Er konnte stets nur Bruchstücke erhaschen - wie ein Mensch, der aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnimmt und feststellt, daß nichts mehr da ist, wenn er sich umdreht.
    Momentan mußte er allerdings dem Butler folgen und seine gesamte Aufmerksamkeit auf

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