Gefährliche Trauer
Aal! Flundern! Strandschnecken! Wasserdichte Umhänge - ein Schilling das Stück! Hält die Nässe ab!«
Und ein Zeitungsverkäufer plärrte: »Bei mir gibt's Nahrung für den Kopf! Lesen Sie alles über den grauenhaften Mord in der Queen Anne Street! Tochter eines Lords im eigenen Bett erstochen!«
Evan schob sich langsam durch den Wust Obstverkäufer, Fischanpreiser und Hausfrauen, bis er plötzlich einen muskulösen Fischhändler mit eindeutig asiatischen Gesichtszügen erblickte.
»Sind Sie Chinesen-Paddy?« fragte er so diskret, wie es in dem allgemeinen Geschrei gerade noch möglich war, ohne unterzugehen.
»Klar, Mann. Wie war's mit 'nem schönen frischen Kabeljau? Der beste aufm ganzen Markt!«
»Was ich brauche, sind Informationen. Kostet Sie nichts bringt Ihnen vielleicht sogar was ein, wenn's mir weiterhilft«, erwiderte Evan. Er stand kerzengerade da und begutachtete den Fisch, als ob er tatsächlich interessiert wäre.
»Wieso sollte ich aufm Fischmarkt wohl Informationen verkaufen, Mister? Was wolln Se denn so unbedingt wissen - Zeit is nämlich Geld, verstehn Sie?« Chinesen-Paddy hob spöttisch die balkenartigen, schwarzen Brauen. »Ich wüßte nich, daß wir zwei -«
»Metropolitan Police«, sagte Evan ruhig. »Ich weiß Ihren Namen von einem sehr verläßlichen Burschen unten aus der Pudding Lane. Was ist jetzt, muß ich erst unangenehm werden, oder können wir die Sache wie Gentlemen regeln? Dann können Sie nämlich hierbleiben und Ihren Fisch verkaufen, und ich kann wieder gehen und mich um meine Angelegenheiten kümmern.« Sein Ton war absolut höflich. Er hob nur ein einziges Mal den Blick, um Chinesen-Paddy direkt und unerbittlich in die Augen zu sehen.
Paddy zögerte.
»Die Alternative ist, daß ich Sie festnehme und zu Mr. Monk bringe. Soll er Sie eben selbst fragen.« Evan kannte Monks Ruf, auch wenn der ihn erst nach und nach mitbekam.
Paddy hatte sich blitzartig entschieden.
»Was wolln Se wissen?«
»Dieser Mord in der Queen Anne Street - Sie waren doch letzte Nacht in der Gegend -«
»Hierher, Leute! Frischer Fisch - fangfrischer Schellfisch!« brüllte Paddy. »War ich«, fuhr er in leiserem, hartem Tonfall fort. »Aber ich hab nix geklaut, und die Frau abgemurkst hab ich schon gar nich - das is mal so sicher wie's Amen in der Kirche!« Er ließ Evan einen Moment links liegen und knöpfte einer Frau einen Shilling Sixpence für drei fette Schellfische ab.
»Ich weiß«, versicherte Evan. »Aber ich will wissen, was Sie gesehen haben.«
»'n verdammten Bullen, der alle zwanzig Minuten die Harley rauf und die Wimpole wieder runter geschlichen is«, erwiderte Paddy, während sein Blick ständig zwischen seiner Ware und der sich vorbeiwälzenden Menge hin und her schoß. »Sie versaun mir das Geschäft, Mister! Die Leute wundern sich, wieso Se nix kaufen!«
»Wen sonst noch?« Evan ließ nicht locker. »Je eher Sie's mir sagen, desto schneller kaufe ich einen Fisch und bin wieder weg.«
»'n Quacksalber, der im dritten Haus in der Harley Street untergetaucht is, und 'ne rumsumpfende Magd samt Anhang. Da ging's zu wie am gottverdammten Piccadilly! Unmöglich, irgend'n Ding zu drehen.«
»Auf welches Haus hatten Sie's denn abgesehen?« Evan nahm einen Fisch in die Hand und musterte ihn prüfend.
»Das an der Ecke von der Queen Anne Street und der Wimpole - im Südwesten.«
»Und wo genau haben Sie gestanden?« Evan wurde von einem sonderbar prickelnden Gefühl überfallen, das teils aus Erregung, teils aus Entsetzen bestand. »Sind Sie lange dort geblieben?«
»Die halbe verfluchte Nacht!« sagte Paddy indigniert. »Von zehn Uhr abends bis kurz vor vier. An der Ecke Queen Anne/Welbeck Street. Von da aus konnte ich nämlich die ganze Queen Anne Street sehn - bis zur Chandos. Am andern Ende war 'ne Riesenparty im Gang. Alles voll mit Lakaien.«
»Warum haben Sie's nicht seingelassen und sind woanders hingegangen? Wozu die ganze Nacht dort rumhängen, wenn soviel Betrieb war?«
»Hierher, Leute - frischer, lebendiger Schellfisch - der beste weit und breit!« brüllte Paddy über Evans Kopf hinweg.
»Kommen Se ruhig näher, Gnädigste! Jawoll, greifen Se zu - macht einen Shilling acht Pence.« Seine Stimme sackte um ein paar Phon ab. »Weil ich den Grundriß von 'ner vielversprechenden Bude hatte, was denken Sie denn - ich geh doch nich auf blauen Dunst los! Bin doch kein gottverdammter Anfänger! Ich hab gedacht, die haun schon irgendwann ab, aber diese verfluchte Magd
Weitere Kostenlose Bücher