Gefaehrliche Verlockung (Gesamtausgabe)
drohendem Blick ansieht.
„Ich zieh mich an und gehe irgendwohin, dann habt ihr eure Ruhe“, sage ich und stehe auf.
„Nichts da, du gehst wieder ins Bett und schläfst. Du siehst immer noch schrecklich aus. Es ist zwei Uhr morgens und ganz sicher keine gute Zeit für einen ausgedehnten Spaziergang im Hyde Park.“
Beim Wort Hyde Park zieht sich mein Magen wieder schmerzhaft zusammen. Ich nicke Orlando kurz zu und ziehe Sylvia mit mir in mein Zimmer, weil ich mit ihr reden muss.
„Du weißt, dass du ihn nur willst, weil er deine Helferseite anspricht, ja?“
Ich mache mir wirklich Sorgen um meine Freundin, die sie natürlich nicht teilt.
„Das ist Unsinn. Ich will ihn, weil er großartig aussieht und erstklassig im Bett ist.“
„Oh Gott, erspar mir das“, gebe ich stöhnend von mir und halte mir die Ohren zu. Ich kenne sie und weiß, dass sie mir jedes Detail erzählen würde, wenn ich sie ließe.
„Ist aber wahr. Du machst dir einfach immer viel zu viele Gedanken, Emma. Warum kannst du nicht einfach mal den Moment genießen und für den Moment leben? Ohne daran zu denken, was früher war und was übermorgen sein könnte? Wir laufen immer Gefahr, verletzt zu werden, wenn wir unseren Schutzpanzer ablegen. Gut. Aber es ist doch besser, das Risiko einzugehen, als sich nie auf einen anderen einzulassen? Wir werden überleben, egal, was passiert. Das ist das Wichtigste. Und wenn du nie Erfahrungen sammelst und immer in deinen Erinnerungen festhängst, wirst du dich nie verändern. Lass es einfach zu, Emma. Ich kann es doch auch.“
Ich schlucke und nehme sie in den Arm. Sie hat ja Recht. Auch Sylvia hat eine düstere Vergangenheit, im Gegensatz zu mir aber ist sie bereit, sie zu vergessen. Wirklich zu vergessen.
So wie ich einige andere Dinge aus meinem Gedächtnis streichen sollte. Trotzdem werde ich versuchen, die schönen Augenblicke zu behalten. Sie waren jede Sekunde des Schmerzes wert, wenn ich ehrlich bin.
Müde krieche ich zurück unter die Decke und schließe die Augen wieder. Ich bin bereit für weitere Träume, auch wenn sie alles sind, was mir von Jason bleiben wird.
33
Das Osterwochenende gehörte zu den längsten Wochenenden meines Lebens. Schon seit einer Stunde laufe ich an diesem Morgen durch die Stadt, höre Adele und die Tindersticks auf dem ipod (habe ich eigentlich jemals behauptet, keine masochistische Neigung zu haben? Nun ja) und bin nervös wie ein Kind vor der Einschulung. In zwei Stunden geht das Gemeindefest los, oben im Büro brennt aber schon Licht, also bin ich nicht die Erste heute. Ich bleibe vor der Gemeinde stehen und warte auf den Transporter.
Wer ist wohl schon da? Reverend Morris? Oder Reverend Clawson, der sich auf seine große Feier einstellen will?
Es ist noch kühl, aber der Himmel verspricht einen schönen Frühlingstag. Als ob .
Der graue Transporter, der um die Straßenecke biegt und vor dem Haus stehenbleibt, lässt meinen Magen kurz hüpfen.
„Morgen.“ Der junge Fahrer mustert mich kurz, aber er interessiert mich nicht. Ich trage ein Kleid, keine Jeans, und die Sandalen mit kleinem Absatz. Sogar geschminkt habe ich mich, als gäbe es einen Grund zu feiern.
„Hier draußen lassen?“
„Ja, bitte. Einen Karton nehme ich mit hoch“, antworte ich dem wortkargen Mann und zeige ihm, wo er die Kisten mit den Gemeindeblättern lassen kann. Den einen Karton reiße ich sofort auf und hole mit zitternden Händen das Magazin heraus, um es auf der Mittelseite aufzuschlagen.
Da ist er . Niemand ist mir auf die Schliche gekommen. Jetzt kann ich nicht mehr ins Büro gehen, weil hier gleich das Chaos ausbrechen wird, aber darauf bin ich vorbereitet. Die Straße füllt sich langsam mit Menschen, auf dem Weg ins Büro oder zum Einkaufen. Im Covent Garden ist heute Markt, da ist es erfahrungsgemäß voll, und über Ostern waren viele Touristen in London unterwegs. Ein Rentnerehepaar aus der Gemeinde geht lächelnd an mir vorbei, er zieht höflich seinen Hut, um mich zu begrüßen. Ich kenne sie vom Seniorentreff und versuche, zurückzulächeln. Hoffentlich ist mir das nicht zu schief geraten.
Dann taucht an der Straßenecke der Mann auf, auf den ich hier warte. Mein Puls beschleunigt sich, als er auf mich zukommt, mit freundlichem Gesichtsausdruck. Lächelnd.
„Guten Morgen, Ms White. Haben Sie schon ...?“
„Nein, ich wollte erst in die Gemeinde, wegen des Magazins.“
Der Brief brennt förmlich Löcher in meine Jackentasche. Ich hätte ihn nicht
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