Gefaehrliche Verlockung (Gesamtausgabe)
1
Mein Herz bleibt beinahe stehen, als ich es sehe. Ich fange unkontrolliert an zu zittern und spüre, wie das Adrenalin durch meine Adern rast.
Gott, ich muss es haben. Ich muss einfach! Nervös kaue ich auf meinen Nägeln herum und starre auf meine Finger. Der Auktionssaal ist voller Menschen, ich sitze in der zweiten Reihe – in die erste habe ich mich nicht getraut – und bange um ein Schmuckstück, von dem ich weiß, dass es einmal meiner Urgroßmutter gehört hat.
Ja, ich bin nostalgisch und sentimental. Immer. Ich weine bei fast allen Filmen, die ich je gesehen habe (sogar bei Komödien finde ich irgendwas, das mich zum Heulen bringt), und ich liebe romantische Liebesromane, in die ich mich richtig fallen lassen kann. Kein Wunder also, dass ich heute hier sitze und verzweifelt auf das Halsband starre, das die Nummer 165 trägt und in ungefähr einer Stunde zur Versteigerung kommen wird.
Meine Hände umklammern das Geldbündel in meiner Tasche. Zur Feier des Tages habe ich mich in Schale geworfen und trage ein schickes Kostüm, das ich mir vor einigen Jahren für ein Vorstellungsgespräch gekauft habe. Es kneift ein wenig in der Hüfte und der Reißverschluss des Rockes ließ sich wirklich nicht bis ganz nach oben ziehen, aber da die Jacke lang genug ist und das verdeckt, ist es egal. Ich sehe seriös aus und – hoffe ich jedenfalls – nach Geld. Das ich nicht habe.
Dreihundertfünfzig Pfund habe ich in der Tasche, genau abgezählt. Hundert Pfund davon hat der Bankautomat noch ausgespuckt, danach war mein Dispo erschöpft. Hundertfünfzig Pfund hat Sylvia mir geliehen, meine Mitbewohnerin. Und die letzten hundert Pfund kommen von ebay, in letzter Minute. Ich habe dafür meinen Fernseher verkauft, da ich den sowieso nur selten benutze. Nun zittere ich darum, dass mein Geld für das schöne Collier reicht, das wirklich nur Liebhaberwert hat und weder Schmuckfetischisten noch Kunstsammler anziehen dürfte.
Als ich es vor zwei Wochen in der Auslage des Auktionshauses entdeckte, blieb mir fast das Herz stehen. Ich habe allen Mut zusammengenommen und bin rein, um es mir genau anzusehen. Der freundliche Mitarbeiter hat mich zwar etwas seltsam gemustert, weil ich in meiner Jeans und den Turnschuhen wohl eher nicht den Eindruck erweckte, zum üblichen Publikum des Auktionshauses zu gehören, aber er hat mir trotzdem gönnerhaft einen genaueren Blick erlaubt. Dann las ich die Gravur auf der Innenseite und war mir sicher – dies war Granny Ellis‘ Halsband, das sie zur Hochzeit von meinem Urgroßvater, den ich nicht mehr kennenlernen durfte, geschenkt bekommen hatte! Wie es hierher geraten ist, weiß ich nicht. Ich weiß, dass Granny in den letzten Lebensjahren wegen ihrer sehr kleinen Rente einiges in Pfandhäuser gebracht hat, daher nehme ich an, dass auch dieses Halsband dabei war.
Meine Finger sind schweißnass, als die Nummer 159 aufgerufen wird. Jetzt dauert es nicht mehr lange. Gott, ich habe noch nie etwas ersteigert und ich habe keine Ahnung, wie ich mich verhalten soll. Möglichst lange zögern, damit niemand merkt, dass ich überhaupt großes Interesse habe? Womöglich lenke ich sonst Aufmerksamkeit auf etwas, das wirklich kaum einen Wert haben dürfte, vom Materialwert abgesehen. Ich kann mich genau daran erinnern, wie Granny es getragen hat. Es lag um ihren dünnen, faltigen Hals, nur zu besonderen Anlässen, und sie fuhr ständig lächelnd mit den Fingern über den zierlichen Goldring. Es muss hart gewesen sein für sie, es zu verkaufen, da bin ich mir sicher.
„Emma“, sagte sie, wenn wir um ihren runden Eichentisch saßen, auf dem eine gehäkelte Decke lag und dampfender Tee im Samowar brodelte. „Wir hatten nichts, als wir geheiratet haben. Wir lebten bei meinen Eltern in einem winzigen Zimmer, ich war schwanger und um uns herum tobte der Krieg. Ich hatte kein Brautkleid und keine Feier, nicht mal einen Strauß Blumen. Aber dieses Halsband hat dein Urgroßvater bei einem Goldschmied in Deutschland für mich selber angefertigt, und das Material hat er mit Zigaretten und Strumpfhosen bezahlt. Es war ein Zeichen seiner unendlichen Liebe, und ich fühle mich noch heute mit ihm verbunden, wenn ich es trage.“
Ich sehe ihre dünnen, mit Falten übersäten Finger vor mir, wenn ich das Halsband anschaue, ihre blauen Augen, die im Alter ganz hell geworden waren, wie der Himmel. Ich sehe die Sorgen ihres ganzen Lebens in ihrem Gesicht, die sich in Falten und Furchten manifestiert haben und die
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