Gefaehrliche Versuchung
schüttelte Harry den Kopf. Gott. Wie hatte ihm das entgehen können? Behutsam brachte er das Mädchen dazu, ihn anzublicken. »Sie ist wahrscheinlich nicht dort. Aber ich werde es Sie wissen lassen.«
»Sobald Sie können.«
Es war der erste Hoffnungsschimmer, den er hatte. Es gefiel ihm nicht, das Mädchen allein zu lassen, also übergab er sie Grace und Bea. Er wagte es kaum zu hoffen, als er kurz darauf Kit Braxton und Alex Knight zu sich rief und mit ihnen zusammen nach Chatham aufbrach. Drei Wochen waren mittlerweile vergangen. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass er möglicherweise zu spät kommen würde.
Kapitel 26
Am Nachmittag zur Teezeit erreichten sie Chatham. Das Wetter war trüb und feucht, und es wehte ein kalter Wind, der die Temperaturen noch weiter fallen ließ. Die Anstalt war ein graues Steingebäude in der Nähe des Flusses, das aussah, als wäre es ein ehemaliges Lagerhaus. Aber es war keine Anstalt. Auf einem Schild an der Wand stand Rose- Armenhaus.
Als Harry das Gebäude erblickte, sank sein Mut. Es war schlimmer als die meisten anderen Anstalten. Mit Krankheiten verseucht, voll mit den mittellosen, den mitleiderregenden, den bösen Verrückten. Harrys Herz raste, und sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Sie konnte nicht an diesem Ort eingesperrt sein. Doch wenn sie nicht hier war, hatte er keine Ahnung, keine Idee mehr, wo er sonst noch suchen sollte.
Im Inneren war die Anstalt noch schlimmer. Sie hatten sich gar nicht erst die Mühe gemacht zu streichen. Die Wände waren so grau wie die Insassen, die durch die überfüllten Stationen schlurften. Das Licht schaffte es kaum, durch die hohen verschmierten Fenster zu dringen, und die Luft war durchdrungen vom Gestank gekochten Kohls. Kinder schrien. Es waren schrille, erbärmliche Laute der Verzweiflung. Jemand weinte, und ein sehr großer Mann in einem Gehrock nahm an der Wand stehend eine Frau.
Harry hielt sich nicht damit auf, höflich zu sein. Er drückte einer der Schwestern eine Pistole unters Kinn und forderte sie auf, ihn zu Kate zu bringen. Jammernd fügte sie sich, aber sie schwor, den Namen nicht zu kennen. Also sperrte Harry sämtliche Angestellte in eine kleine Kammer und schickte seine Freunde los, um die Anstalt gründlich zu durchsuchen.
»Kate! Kate, verdammt noch mal! Antworte mir!«
Jeder Augenblick an diesem Ort raubte ihm noch mehr von seiner Fassung. Wo steckte sie? Warum antwortete sie nicht, wenn er nach ihr rief?
Er wollte gerade aufgeben, als Kit Braxton einen Schrei ausstieß. In einem kleinen Hinterzimmer hatte er George gefunden. Abgemagert, schmutzig, verloren. Es dauerte sogar einen Moment, bis der große Mann Thrasher wiedererkannte, der nicht aufgehört hatte zu fluchen, seit er ihn erblickt hatte.
»Wo ist die Duchess, George?«, wollte Thrasher wissen. »George, du musst es uns erzählen!«
Eine ganze Weile starrte George den Jungen nur an, als müsste er sich erst daran erinnern, wie man sprach. Als er anfing, den Kopf zu schütteln, brach Harry beinahe zusammen.
Doch dann begann George wie durch ein Wunder zu lächeln. »Hey, Thrasher, du bist gekommen, um mich und Katie zu holen.«
Alle erstarrten. »Wo ist sie, George?«
Aber George zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht. Barnes sagt, sie wäre an einem besonderen Ort, wo niemand sie finden würde. Damit sie in Sicherheit ist, sagt er. Das ist gut, oder? Ich will nach Hause, Thrasher. Und ich will, dass Katie mit uns kommt.«
Harry war schon durch die Tür verschwunden. Er wusste, wer Barnes war. Es war ein aalglatter Mann mit verschlagenem Blick und nervösen Händen, der mit dem Rest der Mitarbeiter darauf wartete, aus der Kammer herausgelassen zu werden. Harry verlor keine Zeit. Er riss die Tür zu dem Raum auf, in dem sie eingesperrt waren, sodass sie gegen die Wand krachte. Dann ging er schnurstracks zu Barnes und hielt ihm die Pistole unter die Nase.
»Bring mich zu ihr«, war alles, was er sagte. »Sofort.«
Harry war erst ein Mal so außer Kontrolle geraten: Das war an dem Tag gewesen, als ihm klar geworden war, was die britische Armee den Frauen von Badajoz während der Belagerung angetan hatte. An dem Tag hatte er ohne Bedauern Männer aus seiner eigenen Armee getötet. Barnes musste bemerkt haben, zu was Harry im Moment in der Lage wäre. Trotzdem schüttelte er den Kopf.
»Sie ist nicht hier«, beharrte er. »Wir haben den großen Kerl behalten, weil er hart arbeiten kann. Sie war eine Nervensäge.«
Harry
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