Trügerisches Bild: Ein Auftrag für Spenser
1
Mein erster Klient des Tages – und der Woche, um ehrlich zu sein – kam am Dienstag nach Thanksgiving in mein Büro und setzte sich in einen der Stühle für meine Klienten. Er war mittelgroß und schlank und trug einen braunen Tweedanzug, eine blaue Fliege mit Paisley-Muster und eine zufriedene Miene.
„Sie sind Spenser“, sagte er.
„Ja, bin ich.“
„Ich bin Dr. Ashton Prince.“
„Wie nett.“
„Verzeihung?“
„Was kann ich für Sie tun, Dr. Prince.“
„Ich sehe mich mit einer höchst diffizilen Angelegenheit konfrontiert.“
Ich nickte.
„Darf ich auf Ihre Diskretion zählen?“
„Sicher.“
„Ich meine es ernst.“
„Das merke ich.“
Er runzelte leicht die Stirn. Weniger missbilligend als unsicher. „Nun, darf ich?“
„Auf meine Diskretion zählen?“
„Ja!“
„Im Moment habe ich noch nichts gehört, was ich diskret behandeln müsste. Aber wenn, dann.“
Er starrte mich einen Moment an, dann lächelte er. „Ich verstehe. Sie versuchen, witzig zu sein.“
„Versuchen?“
„Unwichtig. Aber ich muss wissen, ob Sie imstande sind, meine Angelegenheiten mit dem nötigen Ernst zu behandeln.“
„Ich könnte das besser einschätzen, wenn Sie mir erzählen würden, was für Angelegenheiten das sind.“
Er nickte langsam. „Man hat mich gewarnt, dass Sie Ihren Humor sehr hoch einschätzen. Damit werde ich wohl leben müssen. Ich bin Dozent für Kunstgeschichte an der Walford-Universität. Und ich bin Gerichtssachverständiger für Fälle von Kunstdiebstahl beziehungsweise Fälschungen.“
Und sichtlich zufrieden damit. „Liegt ein solcher Fall vor?“ Er holte Luft und ließ sie hörbar wieder entweichen. „Ja.“ „Und der erfordert Diskretion.“
„In großem Maße.“
„Sie kriegen jede, die ich Ihnen geben kann.“
„Jede, die Sie mir geben können?“
„Jede, die mir Ihr eigenes Interesse und meine Selbstachtung gestatten werden.“
„Ihre Selbstachtung?“
„Ich mache ungern Sachen, die dazu führen, dass ich schlecht über mich denke.“
„Meine Güte. Ich meine, das ist gewiss ein löbliches Ziel. Aber Sie sind Privatdetektiv.“
„Nur ein Grund mehr, aufzupassen.“
Er holte erneut tief Luft. Nickte langsam. „Es geht um das Gemälde eines holländischen Malers des siebzehnten Jahrhunderts namens Frans Harmenszoon.“
„ Dame mit einem Finken “, sagte ich.
„Woher in aller Welt wissen Sie das?“
„Ist das einzige Gemälde von Harmenszoon, das ich kenne.“ „Es gibt auch nicht viele. Harmenszoon ist mit sechsundzwanzig gestorben.“
„Jung.“
„Ziemlich. Aber Dame mit einem Finken war ein Meisterwerk. Ist ein Meisterwerk. Es gehört dem Hammond Museum. Und letzte Woche wurde es gestohlen.“
„Die Diebe haben sich gemeldet?“
„Ja.“
„Mit einer Lösegeldforderung?“
„Ja.“
„Und wenn Sie die Polizei ins Spiel bringen, wird das Gemälde zerstört.“
„Ja.“
„Und was genau möchten Sie jetzt von mir?“
„Das Hammond möchte das Ganze sehr, äh, sotto voce behandelt wissen. Man hat mich gebeten, den Austausch zu übernehmen.“
„Das Geld gegen das Gemälde.“
„Ja. Und das macht mich ehrlich gesagt nervös. Ich möchte Personenschutz.“
„Den ich übernehmen soll.“
„Der Leiter der Universitätspolizei hat für mich einen Freund bei der Bostoner Polizeibehörde gefragt, und der hat Sie empfohlen.“
„Ich bin dort sehr beliebt.“
„Und, sind Sie dabei?“
„Klar.“
„Dann ist es abgemacht?“
„Aber ja.“
„Was berechnen Sie?“
Ich sagte es ihm.
Er zog die Augenbrauen hoch. „Nun, die Kosten werden bestimmt übernommen.“
„Durch das Museum.“
„Ja. Und wenn es sie nicht vollständig übernimmt, zahle ich die Differenz aus der eigenen Tasche.“
„Wie großmütig.“
„Sie machen sich über mich lustig.“ „Sie wollen doch Personenschutz.“
„Gewiss. Aber es geht ja auch um das Gemälde. Dabei handelt es sich nicht nur um ein herausragendes Kunstwerk, was schon genügen würde, sondern es ist auch Ausdruck eines bedeutenden Künstlerlebens, das bestürzend früh ein Ende fand.“
„Ich werde mein Bestes tun.“
„Was, wie ich mir habe sagen lassen, sehr hoch anzusetzen ist.“
Ich nickte. „Ist es, ja.“
2
Susan und Pearl verbrachten das Wochenende mit mir. Es war Samstag und wir drei machten einen Vormittagsspazier-gang im Public Garden. Pearl war nicht angeleint, damit sie herumflitzen und die Tauben ärgern konnte, was sie auch tat, während
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