Gefaehrliche Versuchung
sagte Drake und trank seinen Whisky aus. »Aber ich werde dir helfen, sie zu heiraten.«
Harry leerte sein Glas ebenfalls. »Es scheint, als wäre die Zeit gekommen, um gegen den Wind zu pinkeln.«
Die Dunkelheit hatte Gewicht. Sie hatte ein Wesen. Kates Nanny hatte ihr erklärt, dass die Dunkelheit nichts weiter als das Fehlen von Licht sei, doch Kate wusste es besser. Die Dunkelheit war eine lebendige Kreatur, die pulsierte, die atmete, die sprach, die langsam und unaufhaltsam alles um sich herum verschlang und einen Menschen mit jeder Erinnerung und der Angst, die ihm Leben gaben, weiter niederdrückte. Die Dunkelheit hatte Form und Masse, war dick wie Teer, flüssig wie Öl, unergründlich wie der Tod. Die Dunkelheit hatte ihre eigene Temperatur, eine Kälte, die so tief ging, dass sie die Knochen versengte.
Und schließlich hatte die Dunkelheit eine Stimme. Hilflos, flüsterte sie wieder und wieder. Hilflos, wertlos, hilflos. Die Stimme wurde lauter als die eines Kindes, schrill und verzweifelt, bis sie schließlich erschöpft und elend zu einem wimmernden Flehen zerfiel, das sich nie veränderte und das nie beantwortet wurde. Papa.
Kate wusste das alles. Sie hatte sich schon einmal dagegen gewehrt, mit offenen Augen, und sie hatte sich schon oft ergeben, zusammengekauert in einer leeren Ecke. Dieses Mal hätte sie die Dunkelheit vielleicht besser ertragen, wenn sie nicht am Tag zuvor in einen Keller gesperrt worden wäre. Sie hätte die Panik länger fernhalten können, wenn sie irgendetwas außerhalb ihres Gefängnisses hätte hören können oder in der Lage gewesen wäre, ihre Albträume beiseitezuschieben. Aber als sie gegen das Verhalten der Bediensteten ihr gegenüber protestiert hatte, hatte man sie in einen Raum mit dicken Wänden und robusten Türen gesperrt, in dem Dunkelheit herrschte. Sie war vollkommen allein in einer dunklen Zelle, die von Sekunde zu Sekunde kleiner zu werden schien.
Sie versuchte, die Dunkelheit hinter sich zu lassen, doch sie wusste es besser. Sie versuchte, die alten Erinnerungen und die neuen Ängste zu ignorieren. Aber um das zu schaffen, brauchte sie Licht, Bewegung, die Herausforderung. Sie brauchte den Frühling, den sie tanzend in Mayfair verbrachte, den Sommer, in dem sie über die Felder Eastcourts spazierte, brauchte Weihnachten, an dem sie in der Kirchenbank in der idyllischen All-Saints-Kirche saß und Bea lauschte, die mit goldener Stimme alte Weihnachtslieder sang. Sonnenlicht stärkte ihren Geist und Musik ihren Glauben und ihre Zuversicht. Und umhüllt von einem kunterbunten Durcheinander von Stimmen, konnte sie sich einbilden, siegreich gewesen zu sein. Sie konnte sich einbilden, entkommen zu sein und triumphiert zu haben.
Doch in der Dunkelheit war die Wahrheit eindeutig. Egal, wie sehr sie es versuchte, wie sehr sie daran glaubte, es veränderte sich nichts. Also ging sie auf und ab, bis sie nicht mehr konnte. Bis sie die Totenklage in ihrem Kopf nicht mehr zum Schweigen bringen konnte, das Geräusch des Wahnsinns, der Trauer, die Hände auf den Mund gepresst, um die Welle der Verzweiflung zurückzuhalten, die aus ihr herauszubrechen drohte.
Die Mühe hätte sie sich nicht machen müssen. Es war niemand hier, der sie hören könnte. Nichts als die Stille und die Dunkelheit – und die wussten, was in ihrem Kopf lebte. Also ging sie weiter auf und ab. Und sie würde so lange hin und her gehen, bis die Last der Dunkelheit sie niederdrückten und sie aufgeben würde.
Die ganze Nacht lang bereiteten sie Kates Rettung vor. Als Harry schließlich ihrem Bruder gegenübertrat, war er hungrig, müde und seine Geduld hing am seidenen Faden.
Das Anwesen der Livingstons befand sich am Grosvenor Square. Es war ein elegantes, weißes Gebäude mit vielen Erkern und kunstvollen schmiedeeisernen Balkonbrüstungen und Fenstergittern. Als Harry hineingeführt wurde, löste sich der Anschein von Eleganz mit einem Schlag auf. Harry ertappte sich dabei, wie er sich mit offenem Mund umsah, und er fragte sich, ob Kate das Haus ihres Bruders je gesehen hatte. Denn wenn es eine ägyptische Ausstattung gab, die kleine Kinder verängstigen konnte, dann war es diese.
Es war nicht nur die Tatsache, dass die Möbel mit den Füßen von Alligatoren, Schlangenköpfen und seltsamen lang gestreckten Hunden verziert waren. Es schien auch so, als hätte die Duchess jede ägyptisch anmutende Couch, jeden Sessel und Tisch in ganz Mayfair aufgekauft und zusammen mit einem Wald aus Palmen in
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