Gefaehrliche Versuchung
sah ihn mit offenem Mund an. »Ferguson? Grundgütiger, Marcus, ich brauche niemanden, der im Salon des Dukes schottische Zweihandschwerter schwingt.«
»Ich werde ihm sagen, dass er sich ruhig verhalten soll. Er kommt nur wegen der Größe mit.«
»Und wegen der Möglichkeit, dass er jederzeit einen Wutanfall bekommen könnte.«
»Genau.«
Wahrscheinlich war das der perfekte Plan. Chuffy Wilde wirkte so harmlos und freundlich wie ein Hundewelpe, war rundlich, hatte immer ein Lächeln auf den Lippen und war ständig auf der Suche nach seiner Brille. Ian Ferguson war das genaue Gegenteil. Er war ein hünenhafter Schotte, hatte eine brutale Kindheit überlebt und sich unerwarteterweise als rechtmäßiger Erbe einer englischen Grafschaft wiedergefunden. Das hatte weder seinem Akzent noch seiner Verachtung für die »englischen Gecken« oder seinem unbändigen Hunger nach Leben Abbruch getan. Glücklicherweise war einer der wenigen Menschen, die er respektierte, Wellington.
Während Drake die Nachricht verfasste, ging Harry zum Globus zurück und sah, dass er beim afrikanischen Kontinent stehen geblieben war. Im Norden Afrikas konnte Harry die Städte Kairo und Alexandria, Jerusalem und Konstantinopel erkennen. Städte, die er sich hatte ansehen wollen, sobald Napoleon geschlagen war und die Straßen wieder geöffnet waren. Er hatte die Albträume der vergangenen zehn Jahre überlebt, indem er vor seinem geistigen Auge die heißen, sandigen Straßen entlanggegangen war und den Widerhall der antiken Stätten bemessen, betrachtet und in sich aufgenommen hatte. Er träumte davon, durch die Bazare zu schlendern, im Schneidersitz in Cafés zu sitzen und mit alten Männern über die Geschichte zu diskutieren. Er wollte nach Indien zurückkehren und die verlorenen Städte ausfindig machen, in Tempeln mit den Fingern Schnitzereien nachzeichnen und auf hohe Berge steigen, um die heilige Stille in den beflaggten Tempeln zu genießen. Und dann wollte er all seine Erfahrungen mit nach England nehmen und seine eigenen Häuser bauen, sodass eines Tages jemand dort Beständigkeit und Vergebung fand.
Hatte er mit dieser einen impulsiven Geste seine Möglichkeiten verspielt? Wusste er, wie er sein Leben neu entwerfen konnte? Hatte er eine Wahl?
Hinter ihm wurde die Tür geöffnet, und ein Diener kam herein, um die Nachrichten zu holen, die Drake geschrieben hatte. »Das könnte eine Weile dauern«, sagte Drake, als die Tür wieder ins Schloss gezogen worden war.
Harry starrte weiter auf den Globus. »Ich glaube nicht, dass wir viel Zeit haben.«
»Du denkst wirklich, dass Kate an dem Ort, an dem sie ist, leiden muss. Warum bist du dir so sicher?«
Harry dachte an die grauenvollen Narben oberhalb ihrer perfekten Brüste, an die zerbrechliche Schale, die sie gebaut hatte, um ihr weiches Inneres zu schützen. Er dachte an Frauen wie sie, die er gekannt hatte, und daran, was sie durchgemacht hatten. Für ihn gab es keinen Zweifel: Wenn Murther solch ein Ungeheuer gewesen war, dass er seine eigene Frau gebrandmarkt hatte, dann hatte der Missbrauch dort nicht aufgehört.
Aber es war nicht Harrys Sache, Drake die Geheimnisse zu verraten, die sie so vehement verteidigte. »Es reicht wohl, wenn ich sage, dass ich glaube, dass sie leidet, und zwar so, wie wir es uns nicht vorstellen können. Und egal, was sie mir oder anderen angetan hat – sie hat das nicht verdient.«
»Was hat sie denn getan? Du hast es nie erzählt.« Drake stand auf und kehrte zu seinem Drink und seinem Sessel zurück. »Außer, dass sie sich in deine Verlobungen eingemischt hat, natürlich. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass du es tatsächlich bereust, diese dummen Frauenzimmer los zu sein.«
Harrys erster Impuls war es zu bestreiten, dass mehr vorgefallen war. Er hatte die Wahrheit ausschließlich mit Kates Vater geteilt. Es war eine seltsame Vorstellung, dass er nun ausgerechnet Marcus Drake sein Herz ausschütten sollte. Drake war ganz sicher nie Harrys Vertrauter gewesen. Drake war nach Eton gegangen, Harry war nur widerwillig in Rugby aufgenommen worden. Drake saß im House of Lords. Harry war beim 95. Schützenregiment.
Doch es war Drake gewesen, der Harrys Leben verändert und ihm die Möglichkeit gegeben hatte, über die Rolle als einfacher Soldat hinauszuwachsen. Ian Ferguson, damals Captain der Black Watch, der 19. leichten Brigade und leichten Infanterie, hatte Harry und Drake einander vorgestellt. Aber Drake war derjenige gewesen, der
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