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Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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TEIL EINS
      
    Zweiundfünfzig
     
    ALS SIE AUS DEM WAGEN stieg,
wurden ihre Strümpfe im Regen sofort dunkel. Ein Windstoß wirbelte ihr das Haar
aus dem Nacken in die Höhe. Sie kam vom Flughafen und hatte die Fahrt in die
Stadt schon fast vergessen. Als sie zum Hotel ging, bestand ihr Publikum aus
einem Portier in Uniform und einem weiteren Mann in dunklem Regenmantel, der
eben durch die Drehtür kam. Der Mann im Regenmantel zögerte und wartete einen
Moment, bevor er seinen Regenschirm öffnete, der sich sofort mit einem einzigen
raschen Schwung nach oben stülpte. Zuerst wirkte er verlegen, dann bemüht
amüsiert – jetzt war sie sein Publikum –, als er das nutzlos gewordene Ding in
einen Abfallkübel warf und weiterging.
    Sie wünschte, der Portier würde ihren Koffer nicht nehmen, und wären
der prächtige, mit goldenen Blättern geschmückte Baldachin und das untadelig
polierte Messing des Eingangs nicht gewesen, hätte sie ihm vielleicht gesagt,
daß es nicht nötig sei. Sie hatte keine derart hohen Säulen erwartet, die zu
einer Decke hinaufragten, die sie, ohne die Augen zusammenzukneifen, kaum
erkennen konnte. Auch keinen rosafarbenen Teppich, der zwischen den Säulen
verlief und für eine Krönung lang genug gewesen wäre. Wortlos und seltsam
unangemessen inmitten all der Pracht vertraute der Portier den Koffer einem
Pagen an, als gäbe er ein Geheimnis weiter. An gähnend leeren Sesselgruppen
vorbei ging sie zur Rezeption.
    Linda, die sich früher an der Durchschnittlichkeit ihres Namens
gestört hatte, schob ihre Kreditkarte über den Tresen, als man sie darum bat,
unterschrieb das Formular und nahm zwei Schlüssel entgegen, einer war aus
Plastik, der andere beruhigend real, der Metallschlüssel für die Minibar, um
einen Drink zu nehmen, wenn ihr danach wäre. Auf dem Weg zu den Fahrstühlen
bemerkte sie auf einem Mahagonitisch einen Strauß Hortensien und Lilien, so
hoch wie ein zehnjähriges Kind. Trotz der Eleganz des Hotels war die Musik im
Fahrstuhl störend banal, und sie fragte sich, warum man wohl dieses Detail
übersehen hatte. Sie folgte den Schildern und Pfeilen durch einen breiten,
stillen Korridor, der aus Zeiten stammte, als Platz noch kein Luxus war.
    Die getäfelte weiße Tür ihres Zimmers war schwer und öffnete sich
mit leisem Klicken. Vor ihr lagen ein spiegelverkleideter Gang, der wohl
zugleich als Bar dienen sollte, ein Wohnraum mit schweren Vorhängen an den
Fenstern und Glastüren mit hauchdünnen Gardinen, die zu einem Schlafzimmer
führten, das größer war als ihr Wohnzimmer zu Hause. Die Belastung, ungewollt
verpflichtet zu sein, trat für den Augenblick zurück, und sie nahm es zögernd
hin, verwöhnt zu werden. Aber dann fiel ihr Blick auf die elfenbeinfarbenen
Leinenkissen auf dem ausladenden Bett, und sie dachte, welche Verschwendung es
doch war, daß nur sie allein dort schlafen sollte – sie, die mit einem schmalen
Bett in einem kleinen Raum zufrieden gewesen wäre und ein Bett längst nicht
mehr als einen Platz betrachtete, an dem Liebe und Sex stattfanden.
    Einen Moment lang saß sie in ihrem nassen Regenmantel da und wartete
auf den Pagen mit ihrem Koffer. Sie schloß die Augen und versuchte, sich zu
entspannen, was ihr nicht recht gelingen wollte. Sie hatte nie Yoga-Kurse
besucht, nie meditiert, und konnte sich nicht von dem Gefühl befreien, daß
derlei Übungen einer Unterwerfung gleichkamen, einem Eingeständnis, sich nicht
mehr der Realität stellen zu können, ihrer alten Geliebten. Als würde sie einem
verblüfften Ehemann, nach dessen Umarmungen sie sonst so begierig war, den
Rücken zukehren.
    Sie öffnete einem jungen Pagen die Tür und gab ihm ein großzügiges
Trinkgeld als Ausgleich für ihr bemitleidenswert kleines Gepäck. Sie war sich
seines prüfenden Blicks bewußt, einer unbefangenen Musterung, einfach weil sie
eine Frau war, nicht mehr jung und noch nicht richtig alt. Sie ging zu den
Fenstern hinüber, zog die Vorhänge zurück, und selbst das trübe Licht des
Regentags wirkte überraschend in dem düsteren Raum. Verschwommen nahm sie
draußen Gebäude wahr, den Glanz nasser Straßen, den Schimmer grauen Seewassers
zwischen Wolkenkratzern. Zwei Nächte in einem Hotelzimmer: am Sonntagmorgen
würde sie vielleicht die Zimmernummer kennen, müßte nicht mehr an der Rezeption
fragen wie sonst immer. Sie war überzeugt, daß ihre Verwirrung (im Gegensatz
zur Meinung der Portiers) das Ergebnis äußerer Umstände war: sie mußte über zu

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