Gefährliches Spiel der Versuchung
und ihrer Hingabe an die Academy gefragt hatten, war ich überzeugt, dass ihre Mission von äußerster Wichtigkeit sein musste.« Shannon zwang sich zu einer Ruhe, die das brennende Gefühl in ihrem Innern Lügen strafte, und hielt kurz inne. »Aus zwei Gründen war ich außerdem überzeugt, dass die Mission zu scheitern drohte: Entweder war Siena eine Verräterin - oder aber sie schwebte in ernster Gefahr. Wie auch immer es sich verhalten mochte, ich war überzeugt, dass ich den Unterschied zwischen Erfolg und Scheitern ausmachen könnte.«
Mrs. Merlin schaute von ihren Notizen auf, ihr Blick eindringlich und ungerührt wie der eines Falken. »Und was, wenn Siena die Grundsätze der Academy verraten hätte?«
»Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es tatsächlich dazu gekommen war. Aber wenn es doch so gewesen wäre, hätte ich darauf vertraut, die Stärke zu besitzen, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen.«
Die Kohlen knackten im Kamin, die Papiere raschelten. Shannon beobachtete, wie der Dampf aus der Teekanne aufstieg, fragte sich, ob ihre Hoffnung, in der Academy bleiben zu dürfen, wohl genauso schnell verdunsten würde.
»Setzen Sie sich, Shannon, und gönnen Sie sich eine Stärkung.«
Mrs. Merlin drängte sie sanft, klang aber auch einen Hauch gebieterisch, sodass Shannon sich auf die Kante des nächststehenden Stuhls zwängte und einen Teller mit Butterkeksen nahm.
»Nun, Thomas?«, murmelte die Direktorin, nachdem sie seine Tasse wieder gefüllt hatte. »Zufrieden?«
Shannon wusste genau, dass Mrs. Merlins Worte sich nicht auf Essen oder Trinken bezog.
Lynsley fuhr sich mit der Hand an die Schläfe.
Das Schweigen sprach Bände, was das Missbehagen des Marquis' betraf. »Sir, bevor Sie antworten, hätte ich noch eine letzte Anmerkung hinzuzufügen«, sagte Shannon, »wenn Sie gestatten.«
Er nickte.
»Warum stellen Sie mich nicht einfach auf die Probe, bevor Sie eine endgültige Entscheidung treffen? Geben Sie mir eine Gelegenheit, mich durch einen eigenen Auftrag zu beweisen.«
Lynsley zog die Brauen kraus. »Sozusagen eine Feuerprobe?« Er dachte eine Weile über den Vorschlag nach. »Der Gedanke kommt mir irgendwie grausam vor. Falls ich Sie darum bitten soll, Ihr Leben zu riskieren, sollte es ...«
»Betrachten Sie es nicht als Lehre, sondern als etwas, was darüber hinausgeht«, unterbrach sie ihn. »Um offen zu sprechen, kann ich nicht erwarten, mich in den Rang eines vollwertigen Falken zu erheben, wenn man bedenkt, dass mein erster Flug unberechenbar war. Aber wäre es nicht eine Schande, all die Jahre der Ausbildung zu verschwenden, ohne mir eine weitere Gelegenheit zu bieten, meine Fähigkeiten zu beweisen?«
Seine ernste Miene täuschte über die aufkeimende Belustigung hinweg. »Ein geschickter Schachzug!«
Irgendwann hatte Mrs. Merlin Shannon erzählt, wie der Marquis auf die Idee gekommen war, die Academy zu gründen: Er hatte das Buch von Hasan-I-Sabah gelesen, einem muslimischen Kalifen, der in einer Zitadelle in den Bergen geheime Kriegstruppen ausgebildet hatte. Seine Männer waren für ihre tödliche Kampfkunst ebenso bekannt wie für ihre glühende Treue. Der Legende nach versagten sie bei keinem einzigen Auftrag. Ihren Namen Hashishim auszusprechen reichte aus, um die Feinde ihres Herrn in Angst und Schrecken zu versetzen.
Genau wie diese Männer würde Shannon alles tun, um ihre unfehlbare Treue zu Lord Lynsley und dessen Idealen zu beweisen.
»Obwohl es anders scheinen mag, Sir, bin ich der Auffassung, dass man den Sieg nicht immer durch das Schwert erlangt«, ergänzte Shannon. »Ein guter General weiß, dass auch der Mittelweg eine mächtige Waffe sein kann.« Sie wagte kaum zu atmen. »Was meinen Sie?«
Anstatt zu antworten, zog der Marquis ein in Ölzeug gewickeltes Paket aus der Tasche und legte es bedächtig auf den Tisch.
Shannons Kehle fühlte sich plötzlich kalt an. Kein Zweifel, ein Marschbefehl. Aber wohin?
»Ich gestehe, dass meine Auffassung über Sie geteilt war, Shannon. Auf der einen Seite bewundere ich Ihren Mut, Ihre Überzeugung. Auf der anderen Seite hege ich die Befürchtung, dass Ihre Waghalsigkeit gefährlich werden könnte. Nicht nur für Sie, sondern auch für alle anderen, die von Ihnen abhängig sind, um den Auftrag zu erledigen.«
Sie nickte.
»Aber Mrs. Merlin ist der Meinung, dass Sie eine zweite Chance bekommen sollten.«
In ihrer Brust keimte Hoffnung auf. »Ich verspreche, dass ich Sie nicht enttäuschen werde, Sir.«
Er
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