Gefährliches Spiel der Versuchung
frische Hosen an.
»Kenne dich selbst so gut wie deinen Feind«, zitierte sie sanft ein weiteres Gebot aus Sun Tzus klassischer Abhandlung über die Kunst des Krieges. »Ich sollte größte Sorgfalt darauf verwenden, jeglichen Fehlern in meinen Urteilen aus dem Weg zu gehen.«
»Du weißt, dass du nichts beweisen musst.« Sofia fingerte an der filigranen Kette herum, die ihr um den Hals hing. »Weder dir noch anderen.«
Shannon traute ihrer Stimme nicht, stopfte den letzten Rest Kleidung in ihren Seesack und zurrte die Schnüre fest.
»Noch ein Letztes ...« Sofia öffnete den Haken, griff nach der Silberkette und dem Anhänger in Form eines Falken und drückte Shannon beides in die Hand.
»D ... das ist doch dein Glücksbringer!«
»Ich zähle darauf, dass du ihn mir zurückbringst, zusammen mit dem Buch. Damit ich mich auf seine Kräfte verlassen kann, wenn es an mir ist, die Flügel zu spreizen und zu fliegen.«
Mit dem zarten Talisman in der Faust schloss Shannon ihre Freundin fest in die Arme. »Höchste Zeit zum Aufbruch.«
Nebel. Regen. Kalte Feuchtigkeit drang in jeden verfluchten Winkel des knarrenden Gebälks. Orlov zog sich den Umhang ein wenig fester um die Schultern. Noch nicht einmal mit einem dicken Zobelpelz konnte man sich die Kälte vom Leib halten. Grimmig blickte er auf die grauen Wellen und drehte noch eine Runde über das schmale Deck.
»Vermutlich fühlen Sie sich an Bord eines Schiffes nicht zu Hause?« Der niederländische Kapitän hielt neben ihm Schritt.
»Ich ziehe ein Fleckchen vor, an dem ich meine Beine ausstrecken kann.« Der Schoner legte sich beachtlich auf die Seite. »Mit einer terra firma unter den Sohlen.«
»Bei diesem Wind sollten wir unser Ziel schon bald erreicht haben.«
»Es kann gar nicht schnell genug gehen.« Orlov fügte einen markigen Fluch hinzu.
Sofort pochte der Kapitän mit den Knöcheln der Hand auf die hölzerne Reling. »Wir Seefahrer sind ein abergläubisches Völkchen. Es bringt Unglück, die Meeresgötter zu beleidigen.«
»Dann ist es nur ein Glück, dass ich nicht die Absicht habe, eine nautische Laufbahn einzuschlagen. Außer meiner eigenen Haut ist mir nämlich nichts heilig.« Orlov strich sich die Tropfen von der Stirn. »Welche sich vielleicht schon bald in Schuppen verwandeln wird. Wie bei einem Fisch.«
»Es ist nur ein kleines Nieseln, das bald vorüber ist.«
Ein schwacher Trost, in der Tat. »Ich denke, ich sollte mich unter Deck begeben«, meinte Orlov, obwohl seine unangenehm feuchte Kajüte für jemanden gebaut worden war, der kaum größer war als eine lausige Schiffsratte.
Nachdem er seine hochgewachsene Gestalt hineingequetscht hatte - ein Kunststück, das ihn zwang, die Knie fast bis ans Kinn zu ziehen - entzündete Orlov die Lampe und blätterte durch den Stapel Dokumente. Natürlich hatte er sie schon längst gelesen.
Ad nauseam, fügte er stumm hinzu, als sein Magen sich unangenehm verkrampfte, bis zum Erbrechen. Eine leichte Seekrankheit, verstärkt durch das schlechte Wetter, trug nicht gerade dazu bei, seine Laune zu heben. Bei den Gebeinen des heiligen Sergius, wie war es ihm doch verhasst, mit dem Schiff zu reisen!
Orlov richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Papiere. Yussapovs Agenten hatten gründlich gearbeitet. D'Etiennes Hintergrund und seine Leistungen wurden in jeder grausigen Einzelheit geschildert. Alles in allem handelte es sich bei dem Mann um einen ruchlosen Dreckskerl, auf dessen Opferliste sich mehrere Frauen und sogar ein kleines Kind befanden.
Seine Miene verdüsterte sich. Er gestand freimütig ein, dass er die Moral nicht für sich gepachtet hatte; aber sein Krieg richtete sich nicht gegen die Familien seiner Feinde. Es war ein schmutziges Geschäft, mit dem er zu tun hatte, und manchmal war es ebenso notwendig wie widerwärtig, einen anderen Menschen zu töten. Aber in diesem besonderen Fall würde er nicht mit der Wimper zucken.
Die Landkarten schienen ebenfalls sehr gut zu sein. Die Straßen waren eingezeichnet, die Marksteine beschrieben, und entlang des Weges gab es mehrere Schlupflöcher. Er verbrachte ein wenig Zeit damit, die Informationen in seinem Gedächtnis zu speichern, bevor die Übelkeit und ein stechender Kopfschmerz ihn zwangen, die Flamme zu löschen. Gleichwohl waren ihm die Wellen, die auf die Planken schlugen, immer noch fremd. Es fiel ihm schwer, sich an den Rhythmus des Meeres zu gewöhnen.
Konnte es sein, dass die Meeresgötter sich für seinen verbalen
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