Gefangen im Palazzo der Leidenschaft
besorgt kam sie schließlich am anderen Ende des Gebäudes an, um sich in einer überfüllten Halle wiederzufinden. Verwirrt suchte sie nach Schalter sechs.
Doch es schien diesen Schalter nicht zu geben. Fünf, ja. Und auch Schalter sieben. Aber keinen Schalter sechs …
„Miss Barton?“
Lily drehte sich so abrupt um, dass sie beinah über ihren Koffer gefallen wäre. Sie blies sich eine platinblonde Strähne aus dem Gesicht, dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf die schöne, dunkelhaarige Flugbegleiterin, die sich hinter einem nicht nummerierten Schalter erhoben hatte und einen guten Kopf größer war als sie mit ihren knapp einssechzig. „Ich bin Lily Barton, ja …“
Zweifelnd sah die andere Frau sie an. „Lily? Aber …“
„Schon in Ordnung. Das ist eine Familienangelegenheit.“ Lily hatte keine Lust, ihr zu erklären, dass ihr Bruder den Namen Giselle als Kind nicht hatte aussprechen können. Zunächst hatte er „Lelly“ zu ihr gesagt, später war dann „Lily“ daraus geworden. Und dabei war es zum Glück geblieben. Denn „Giselle“ klang wie der Name irgendeiner ältlichen Tante. Vielleicht würde sie eines Tages wirklich zu einer werden, aber im Moment zog sie mit ihren sechsundzwanzig Jahren eindeutig „Lily“ vor. „Sehen Sie.“ Sie fischte ihren Ausweis aus der Umhängetasche und hielt ihn der anderen Frau vor die Nase.
Bedauernd stellte sie fest, dass das Foto ihr nicht gerade schmeichelte. Sicher, ihr langes, glattes und natürlich platinblondes Haar sah recht annehmbar aus, aber sie hatte die blauen Augen bei dem Blitzlicht weit aufgerissen, sodass sie ein wenig erschrocken dreinblickte. Da sie nicht hatte lachen dürfen, wirkte sie leicht bekümmert und ihr Hals beinah zu zart für die hellblonde Mähne.
„Falls Sie mir sagen wollen, dass ich heute doch nicht nach Rom fliegen kann“, begann sie und steckte den Ausweis zurück in die Tasche, „möchte ich Sie vorwarnen. Sollte jetzt noch etwas schiefgehen, werde ich vermutlich einen hysterischen Anfall bekommen.“
Die kühle Miene der Frau wurde ein wenig weicher. „Harter Vormittag, was?“
Lily verdrehte die Augen. „Könnte man so sagen.“
Als die Flugbegleiterin leise lachte, war von ihrer geschäftsmäßigen Art nichts mehr zu spüren. „Dann bin ich froh, dass ich Ihnen nicht noch mehr Schwierigkeiten machen muss.“
„Ach nein?“ Jetzt war es an Lily, zweifelnd dreinzublicken. Und hoffnungsvoll.
„Ganz und gar nicht. Bitte, lassen Sie mich den hier nehmen.“ Die Frau umfasste den Griff von Lilys Koffer, ehe sie davonging. Sie schaffte es sogar, den Koffer mit dem abgebrochenen Rad elegant hinter sich herzuziehen. Natürlich!
„He!“ Schnell hatte Lily die Frau eingeholt und griff nach deren Arm. „Wo wollen Sie denn mit meinem Koffer hin?“
Geduldig lächelte diese. „Ich gebe den Koffer für Sie auf. Danach bringe ich Sie in die VIP-Lounge.“
Überrascht sah Lily sie an, ehe sie den Kopf schüttelte. „Da muss eine Verwechslung vorliegen.“ Obwohl es kaum zwei Frauen mit dem Namen Giselle Barton geben würde – die obendrein beide heute einen Flug nach Rom gebucht hatten. „Ich habe Economyclass gebucht. Also steht mir demnach nur ein Platz in der überfüllten Abflughalle zu – falls ich Glück habe.“ Sie lächelte bedauernd.
Die schwarzhaarige Schönheit erwiderte ihr Lächeln. „Heute Morgen wurde für Sie umgebucht.“
„Umgebucht?“ Flehentlich blickte Lily sie an. „Sagen Sie mir jetzt bitte nicht, dass ich nach Norwegen fliege oder irgendwo anders hin, wo es garantiert noch kälter ist als in England.“
Wieder lachte die Flugbegleiterin. „Nein, Sie fliegen nicht nach Norwegen.“
„Dann nach Island? Oder vielleicht Sibirien?“ Gequält verzog Lily das Gesicht. Der Dezember war in diesem Jahr in England besonders kalt gewesen. Auch wenn sie annahm, dass in Rom nicht mehr als zehn Grad wären, wäre es dort zumindest um einiges wärmer als im verschneiten London.
„Auch dort fliegen Sie nicht hin. Sie stehen immer noch auf der Liste für den Flug nach Rom.“
„Da bin ich ja erleichtert!“ Lily runzelte die Stirn. „Hören Sie, mir ist durchaus bewusst, dass ich mit meinem zerzausten Aussehen wie ein Landei wirken muss, aber ich brauche wirklich keine Hilfe. Es ist nur so, dass ich heute zum ersten Mal fliege, und offenbar lässt meine Organisation ziemlich zu wünschen übrig.“
Die Flugbegleiterin biss sich auf die Lippe, offenbar um ein Lachen zu
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