Gefangen im Zwielicht
„Den sehen wir nicht wieder“, stellte ich zufrieden fest.
Vater musterte mich über die Gläser seiner Lesebrille.
„Ich hab mir doch gleich gedacht, dass mit dem Kerl etwas nicht stimmt. Was hast du in seinen Gedanken alles gelesen?“
„Eine Menge. Mir ist ganz schlecht davon.“ Ich imitierte Kotzgeräusche. „Er kauft halb verfallene Hütten und lässt sie durch Schwarzarbeiter dürftig sanieren. Die Schäden sind sehr geschickt vertuscht und ausgebessert worden. Er verwendet die billigsten Materialien, teilweise fehlerhafte Ware vom Schwarzmarkt. Natürlich will er die Projekte dann so schnell wie möglich loswerden, damit er sich aus dem Staub machen kann. Robert Zenker ist nur eines seiner Pseudonyme.“
Vater schüttelte den Kopf.
„So ein Dreckskerl. Ich möchte wissen, wie viele Menschen dieser Gauner schon reingelegt hat.“
„Das willst du nicht, glaub mir. Aber nicht mit Bergmann Immobilien“, antwortete ich. „Das würde ich niemals zulassen.“
Vater seufzte. „Ohne dein Eingreifen hätte ich das Haus womöglich gekauft“, stellte er betroffen fest. „Du bist unglaublich.“
„Pass auf, sonst könnte ich mir noch was darauf einbilden.“
Er lachte. „Na komm, wir haben einen Termin. Hoffentlich nicht noch so ein Verbrecher. Einer am Tag reicht vollkommen.“
Eine halbe Stunde später saßen wir in Vaters bevorzugtem Geschäftsessen-Restaurant. Ich zupfte gedankenverloren an den Spitzen des Mitteldeckchens, auf dem eine Glasvase mit frischen Blumen stand. Das Restaurant war im Stil der dreißiger bis vierziger Jahre eingerichtet, an den Wänden prangten in Gold gerahmte Bilder von Ikonen dieser Zeit, wie Edith Piaf, Humphrey Bogard oder Hans Albers. Ich persönlich bevorzugte ja coolere Kneipen wie „Dee’s Bar“ oder das „Underground“, aber mir war natürlich auch klar, dass man dort schlecht Geschäfte abschließen konnte. Außerdem konnte ich mir Paps nur schwer in einer Diskothek vorstellen, in der halbnackte Frauen zu Technomusik in Käfigen tanzten.
„Leon. Hörst du mir überhaupt zu?“
Ich zuckte zusammen und blickte ihn über den Tisch hinweg an. „Entschuldige Paps, hast du was gesagt?“
„Ich sagte, dass ich sehr stolz auf dich bin und nicht wüsste, was ich ohne dich täte. Der Vorfall heute war ja wieder mal Beweis genug. Ich mach das Geschäft schon so lange, aber ich habe die Ausbesserungen wirklich nicht gesehen.“
Ich winkte ab und klappte die Speisekarte auf.
„Für irgendetwas muss ich ja schließlich gut sein“, lachte ich. „Zur Feier des Tages darfst du mich zum Essen einladen. Ich hab einen Riesenhunger.“
Vater schüttelte belustigt den Kopf und wollte sich ebenfalls die Karte nehmen. Dabei stieß er zwei Weingläser um, die klirrend über den Tisch rollten. Ich lugte über den Rand der Speisekarte und grinste schadenfroh, während Vater, sich der neugierigen Blicke der anderen Gäste bewusst, hektisch die Gläser wieder aufstellte.
Er schielte zu mir herüber. „Das ist nicht lustig“, sagte er streng, doch sein Tonfall wurde von einem Lächeln um die Mundwinkel gemildert. Ich klappte die Karte zu und legte sie auf den Tisch.
„Vielleicht nicht lustig, Paps, aber typisch für dich. Du hättest dein Gesicht eben sehen sollen. Bleib cool, Mann.“
„Sehr witzig.“ Er verdrehte die Augen und rieb sich den graumelierten Kinnbart.
„Jetzt schau nicht so böse.“ Ich ahmte ihn nach, indem ich die Brauen zusammenzog und lehnte mich entspannt in meinem Stuhl zurück. „Wer ist eigentlich dieser Mann, der uns diesen Laden in der Oranienstraße verkaufen will?“
Vater zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nur, dass er Serban Grigorescu heißt, mehrere Immobilien hier in Berlin besitzt und in Grunewald lebt. Ich habe ein paar Mal mit ihm telefoniert. Sein Sohn wollte an seiner Stelle kommen.“ Er blickte auf seine Armbanduhr. „Er müsste jeden Augenblick da sein.“
Ich erhob mich. „Würdest du mir bitte ein Pils bestellen? Wir sollten die Gelegenheit nutzen, solange die Gläser noch stehen. Ich komme gleich wieder.“
„Das muss ich mir noch gut überlegen“, hörte ich ihn amüsiert antworten, während ich mich bereits auf halbem Weg zu den Toiletten befand. Eine Bedienung kam mir entgegen und lächelte mir freundlich zu. Sie war hübsch, dunkle Locken umrahmten ihr zartes Gesicht. Ich spürte, dass sie nervös war und las ihre Gedanken. Sie fand mich süß … und sexy. Ich grinste in mich hinein. Besonders
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