Gefangene des Meeres
sich der versilberte Plastikschirm seines Reflektors einmal in Position zwischen den beiden Schiffen, würde dieses Riesenteleskop in der Lage sein, einzelne Wellen auf den Ozeanen des dritten Planeten auszumachen. Dann galt es, genaue Karten der Landmassen und Meere anzulegen, und mit Hilfe der hochbeschleunigten Sonden, die bereits den Schiffen voraus und dem Ziel entgegenjagten, würden sie schließlich die Landegebiete festlegen.
Inzwischen mußte die Position jeder einzelnen Einheit der großen Flotte überprüft und wenn nötig korrigiert werden. Die Fernsteuerung jedes einzelnen Schiffes mußte ebenso wie die Erwärmungsanlage getestet werden, damit alle lebenden Wesen im Augenblick der Landung im vollen Besitz ihrer geistigen und körperlichen Kräfte wären. Der Landevorgang selbst lag im Verantwortungsbereich der Originalmannschaft, aber sie durfte erst erwärmt werden, wenn alles für sie bereit wäre.
Die Gefühle von Kapitän Heglenni und ihrer Mannschaft für die tiefgekühlten Leiber von Kapitän Gunt, Astrogator Gerrol und deren Leuten waren gemischt. Sie empfanden einen an religiöse Ehrfurcht grenzenden Respekt vor diesen legendären Gestalten, die tatsächlich auf Unthan selbst gelebt und dort ihre Ausbildung erfahren hatten, aber darein mischte sich auch eine Empfindung, die nahe an Abneigung grenzte.
Heglenni schämte sich dieses Gefühls, doch zugleich konnte sie nicht umhin, sich zu erinnern, daß Kapitän Gunt in den Kälteschlaf gegangen war und dem ersten Deslann und Hellahar ein furchtbares Problem hinterlassen hatte. Wenn sie ihr Kommando niederlegen und die Flotte an Kapitän Gunt zurückgeben würde, sollte das Problem bis in alle Einzelheiten hinein vollständig gelöst sein, dazu war sie fest entschlossen. Die Lösung dieses Problems hatte so viel Zeit, Leiden und oft auch Todesopfer gekostet, daß es nicht mehr als recht und billig wäre, wenn Gunt sich darob beschämt fühlte.
*
Von jenem Augenblick an, als sein Gehirn so weit aufgetaut war, daß die elektrochemischen Prozesse der Gedankenbildung wieder funktionierten, sah sich der frisch erwärmte Kapitän Gunt mit Meldungen und Fragen bombardiert. Da waren die Aufzeichnungen im Logbuch, die von Deslann niedergeschriebene Begründung seiner Lösung, des anderen Kapitäns persönliche Botschaft an ihn und endlich die komprimierte Flottengeschichte in Form einer Meldung des weiblichen Kapitäns Heglenni, deren bloße Anwesenheit bewies, daß Deslanns Lösung richtig gewesen war und eben jetzt ihre glänzende Bestätigung fand.
Irgend etwas an der ganzen Situation war unwirklich, dachte Gunt verwirrt, wie eine Wahnvorstellung: Das Gewohnte war verfremdet und beängstigend, das Gute vom Schlechten zerfressen, und die Freude grenzte zu nahe an Verzweiflung. Gerrol beharrte, daß die wenigen Fehler und Irrtümer an Bord soziologischer und nicht technischer Natur gewesen waren, und dagegen ließ sich nicht leicht etwas einwenden. Überall in der Rechenzentrale glühten die Signale »Fertig«, und die Kurskorrekturen des Flaggschiffes und der ganzen Flotte waren mit größter Genauigkeit und Umsicht geführt worden, obwohl die Atmosphäre des Raumes, dessen Wasser seit nahezu sechzehn Generationen immer wieder gereinigt und gefiltert worden war, zum Übelwerden unangenehm schmeckte. Die wenigen soziologischen Fehler, ohne Zweifel unvermeidbar, hatten mit dem katastrophalen Regime Helltags des Wahnsinnigen und der Spaltung begonnen, die der halben Mannschaft des Flaggschiffes keine Wahl gelassen hatte, als auf das nächste Nahrungsschiff überzusiedeln. Der Krieg zwischen Deslann dem Fünften und Kapitän Hellseggorn vom Nahrungsschiff, der dem Flaggschiff eine dringend benötigte Reserve zeugungsfähiger männlicher Rekruten verschafft hatte, war ein weiterer Fehler gewesen. Auch die Generationen zunehmend psychotischer und körperlich mißgestalteter Besatzungsmitglieder, die Krankheiten, Leiden und oft unnötigen Todesfälle waren Produkte dieser Fehler, genauso wie dieser kleine, magere und reizbare weibliche Kapitän.
Sie wartete, daß er etwas sagte.
»Wir sind wohlbehalten im Zielsystem angelangt«, sagte Gunt stumpfsinnig. Er raffte seine Sinne zusammen. »Es sollte eine Zeit großer Freude sein. Sind Sie sicher, daß – daß …«
Er brach ab und versuchte seine Gedanken zu ordnen, die wie wild in seinem Gehirn umherschossen. Während Heglenni ihre Meldung gemacht hatte, hatte er versucht, irgendeine winzige
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