Polt.
Alfred Komarek
Polt.
Der Sonntagswirt
Still war es. Doch in der Stille lag der Nachhall von Worten, von Gelächter und Geräuschen, im Geruch des geölten Bretterbodens war die Erinnerung an Küchendunst und Zigarettenrauch.
Simon Polt, Gendarm im selbst gewählten Ruhestand, nahm einen gläsernen Bierkrug aus dem Regal und spülte ihn mit frischem kaltem Wasser aus. Dann hielt er bedächtig inne. Ein Wirt nach seinem Geschmack hatte mit beflissener Eile nichts im Sinn. Dieser löblichen Einstellung widersprach allerdings der Umstand, dass Polt nicht nur Wirt, sondern auch Gast im eigenen Hause war, ein durstiger Gast zudem. Also hielt er den Krug schräg unter den Zapfhahn und ließ das Bier sachte fließen. Polt achtete darauf, dass die richtige Menge Schaum entstand, wartete, bis sich das weiße Gewölk verdichtet hatte, fügte eine weitere Lage hinzu, wartete abermals und setzte seinem Werk endlich die ihm gebührende weiße Krone auf. Er widerstand der Versuchung, gleich einmal zu trinken, verließ die Schänk und nahm im Gastzimmer Platz. Er hob den Bierkrug, prostete einem unsichtbaren Gegenüber zu und nahm einen Schluck, der nicht enden wollte, dann aber doch endete, weil Polt sich vorgenommen hatte, gehörig zu trinken, aber nicht zu saufen.
»Mit Knaben, die an der Quelle sitzen, ist es noch nie gut gegangen, egal, wie alt sie sind«, hatte ihm die verehrte, längst auch geliebte Lehrerin Karin Walter erklärt, als er gemeinsam mit zwei Freunden - Friedrich Kurzbacher und Sepp Räuschl - den Kirchenwirt pachtete. »Du wirst dich zu Tode saufen, Simon, langsam, aber zielstrebig.«
Polt dachte daran, bewegte verneinend den Kopf und schob das Glas von sich weg.
Klar, dass Franz Greisinger, der Kirchenwirt, eines Tages nicht mehr wollte. Er war an die siebzig geworden, als er ohne erkennbares Bedauern beschloss, sich von seinen Gästen zu verabschieden. Nachfolger hatte er keinen gefunden, auch nicht richtig gesucht. Viel war ja nicht zu holen in diesem Wirtshaus. Gähnende Leere zumeist, von ein paar Stammtrinkern abgesehen. An den Wochenenden die Männerrunde nach dem Kirchgang, ein paar Mittagessen, hin und wieder Vereine, eine Hochzeit dann und wann, Taufe, Begräbnis. Spät nachts dann jene, die nicht aufhören wollten oder nicht aufhören konnten. Einer, der den anderen die Welt erklärte, einer, der sich mit den Weibern auskannte, aber wie, und einer, der wusste, wer schuld war: die Juden, die Tschechen, die Europäische Union, oder alle gemeinsam, längst auch schon verbündet mit den Kommunisten, den Freimaurern und den übrigen sattsam bekannten Weltverschwörern. Jedes Mal dieselbe Wichtigtuerei, die uralten Witze, der besoffene Tiefsinn. War es Gleichmut oder Gleichgültigkeit, die Franz Greisinger alles ruhig hatte ertragen lassen? Gleichviel: Irgendwann war eben Schluss gewesen, Sperrstunde für immer.
Aber, zum Teufel noch einmal, ein Dorf ohne Wirtshaus war doch so gut wie tot. Eines Abends war dann in Friedrich Kurzbachers Weinkeller der Plan gereift, den Kirchenwirt weiterzuführen, wenigstens Samstag und Sonntag.
Seither war über ein Jahr vergangen und es lief ganz gut so. Die geringe Pacht konnte pünktlich bezahlt werden, die drei Wirte und ihre Gäste hatten weniger Langeweile, und manchmal ging es sogar richtig hoch her, wenn etwas zu feiern war. Dann sorgten Frau Kurzbacher und ihre Freundinnen dafür, dass wieder Leben in die Wirtshausküche kam, es roch nach Schweinsbraten und nach den in Butterschmalz gebackenen Schnitzeln.
Diesmal verbrachte Polt einen ruhigen Sonntag. Die letzten Gäste waren gegen Mittag gegangen. So hatte er Zeit für sich, seine Gedanken und sein Bier.
Er trank, setzte ab, trank aber gleich noch einmal, weil ihm die Gespräche an der Schänk in den Sinn kamen. Das vergangene Jahr hatte für das Wiesbachtal wenig Gutes gebracht. Dieses Unwetter im August - blauschwarze Wolken am frühen Nachmittag, ein paar grelle Löcher darin, rostrotes Licht. Und plötzlich Regen, eine wütende Masse Wasser, schwere, vom Wind gepeitschte Tropfen, die sich übergangslos in glasharte Geschosse verwandelten, Weinlaub zerfetzten und Trauben platzen ließen. Hitze und Feuchtigkeit dann, über Wochen hinweg. Langsam, erst viel zu spät bemerkt, kam neues Unheil dazu: Rebstöcke wurden krank. Erst waren die Unterseiten der Blätter von einer hellen Pilzschicht bedeckt, dann drangen Sporen ein, das Laub welkte, Weinbeeren vertrockneten. Peronospora,
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