Gefeuert
in den vergangenen Monaten bereits an einen Alltag ohne Büro gewöhnt. Zwar stand für mich fest, in wenigen Wochen dorthin zurückzukehren. Ich hatte auch schon Pläne und Ideen, was ich dann wie umsetzen wollte. Aber nun theoretisch zu realisieren, dass sich diese Zukunft anders gestalten wird, ist schwierig.
Konkret sind dagegen die Existenzängste. Die vergangenen Monate der Elternzeit haben schon alle finanziellen Reserven aufgebraucht. Das Elterngeld beträgt knapp 70 Prozent des Nettoeinkommens vor der Geburt des Kindes. Das reicht uns nicht. Eigentlich war geplant, dass Johannes in dieser Zeit wieder mehr arbeitet, aber es klappt nicht. Die Auftragslage istmauer als sonst, auch sein Metier leidet unter den Folgen der Wirtschaftskrise.
»Wir sind doch erst einmal abgesichert«, versucht mich Johannes während einem der vielen Gespräche zu beruhigen. »Jetzt bist du noch in Elternzeit, dann bekomme ich zwei Monate Elterngeld. Und danach könntest du notfalls Arbeitslosengeld beziehen. Wie lange gibt’s das denn?«
»Maximal zwölf Monate«, antworte ich widerwillig und desinteressiert.
»Das ist doch eine lange Zeit«, sagt Johannes.
»Aber ich will nicht arbeitslos werden!«, rufe ich entsetzt. »Außerdem reicht das Geld doch gar nicht!«
Ich ziehe mich an meinen Schreibtisch zurück, damit ich nicht in einem Anfall von Verzweiflung meine Wut gegen ihn richte. Hier stürze ich mich in Aktionismus. Ich muss irgendetwas tun. Ich setze mich vor meinen Laptop, abonniere einen Job-Newsletter und will irgendwie damit beginnen, meine Bewerbungsunterlagen aufzubereiten. Da klingelt mein Handy. Eine Bekannte aus dem Unternehmen ist dran, die in einer anderen Abteilung arbeitet.
»Wie geht’s?«, fragt sie.
Ich habe das Gefühl, dass etwas anderes in dieser Frage mitschwingt, komme aber nicht darauf, was es ist. Und ich antworte aus reiner Gewohnheit »gut« – außerdem hat das Klingeln meine Sorgen kurz verscheucht. Ich denke gerade in dem Moment ihres Anrufs nicht an die Kündigung. Es ist zum Glück unmöglich, ohne Unterlass daran zu denken. Sonst wäre ich schon längst wahnsinnig.
»Hast du schon gehört …?«, fragt sie vorsichtig.
Ach so, jetzt verstehe ich. Sie spielt auf die Einstellung unseres Projekts an. »Ja, natürlich, gestern hat mich die Personalabteilung angerufen«, antworte ich.
»Und dein Chef nicht?«
»Doch, der auch.« Ich habe den unguten Eindruck, einem Verhör unterzogen zu werden.
Sie seufzt. »Das ist sooo schlimm!«
Stimmt, es ist schlimm. Aber erstens bin ich diejenige, die seufzen darf, und dann glaube ich, inzwischen herausgehört zu haben, dass sie weniger aus Mitgefühl anruft. Es ist die Neugier. Ich unterstelle ihr, dass sie gerne hören würde, wie mies sich das Unternehmen uns Gekündigten gegenüber verhalten hat. Das würde ihr in der internen Gerüchteküche einen entscheidenden Vorsprung und damit eine wichtige Rolle verschaffen. Sofort werde ich extrem vorsichtig und zurückhaltend. Sie spürt das wohl und verabschiedet sich schließlich mit dem unsensiblen Satz »Ich muss jetzt wieder weitermachen«, der jedem Gekündigten das Gefühl des Ausgegrenztseins gibt. Denn ich würde auch gerne weitermachen, darf aber nicht mehr.
Lieber sind mir die unzähligen Anrufe der gekündigten Kollegen, mit denen ich auch in regem E-Mail -Verkehr stehe. Es geht bei diesem Kommunikationsmarathon allein um den Austausch unserer Befindlichkeit. Jedes Mal beginnen wir vorsichtig mit der Frage »Wie geht’s?« und bemühen uns um eine ehrliche Antwort, die unseren Gefühlshaushalt widerspiegelt. Die Kollegen sind froh, mit einem Leidensgenossen über ihre Situation sprechen zu können, und ich bin dankbar für jede neue Information, da ich mich hier zu Hause in Elternzeit von den Entwicklungen etwas abgeschnitten fühle.
Auch der Betriebsrat schaltet sich ein. Er lädt auf die Schnelle alle kurzfristig per E-Mail zu einer ersten Krisensitzung ein. Ich finde keinen Babysitter und rufe am nächsten Tag selbst beim Betriebsrat an. Von den Kollegen habe ich da bereits erfahren, dass das Gespräch nicht sehr ergiebig war. »Die haben uns wenig Hoffnungen gemacht. Eigentlich ging es nur darum, wie schlecht die rechtliche Situation für uns ist«, hat mir ein Kollege gleich im Anschluss erzählt.
Das Lamento kenne ich also schon und höre einfach darüber hinweg, als es der Betriebsrat tatsächlich anstimmt. Doch dann wird es plötzlich interessant: »Warum haben Sie keine
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