Gefeuert
und klanglos pleite. Ende des Jahres werden es insgesamt 35 000 Unternehmen sein, die 2009 in die Insolvenz geschlittert sind – das sind 5000 mehr als im Jahr zuvor. Viele Traditionsbetriebe sind darunter wie Märklin, Quelle, Rosenthal, Schiesser. 520 000 Beschäftigte haben deswegen ihren Arbeitsplatz verloren.
In diesem Frühsommer sind dreieinhalb Millionen Menschen ohne Stelle. Und viele, die eine haben, plagt die Angst, ihren Job zu verlieren: Immer mehr Unternehmen fahren die Arbeitszeit herunter, weil es nicht mehr genug Aufträge gibt. Mehr als eine Million Erwerbstätige sind deswegen in Kurzarbeit, ihr Lohn wird staatlich subventioniert. Da wird es schwierig werden, einen adäquaten neuen Job zu finden. Es gibt einfach zu wenige Stellen, und das nicht nur für uns. In vielen Branchen gehen die Ausschreibungen zurück.
Abgehetzt kam ich zu Hause an. Wie einer der berüchtigten Fahrradrowdys war ich schließlich zurückgefahren, als gelte es, einen Rekord aufzustellen. Mein Mann Johannes sah mich erstaunt an, als ich mit rotem Kopf und wirrem Haar vor ihm im Wohnzimmer stand und atemlos von Jürgens Anruf erzählte.
»Saublöd«, sagte er. Und dann, etwas ratlos: »Was wird jetzt?«
»Keine Ahnung«, antwortete ich leicht unwirsch. »Ich bin ja eigentlich in Elternzeit. Vielleicht wird mir gar nicht gekündigt.«
»Und wenn doch?«
Er war sehr erschrocken und das nervte mich. Ich hätte gerne das Exklusivrecht auf Betroffenheit gehabt, schließlich passiertegerade
mir
etwas. Das Gefühl, nicht nur mich selbst, sondern auch noch Johannes beruhigen zu müssen, überforderte mich. Natürlich war mir sofort klar, dass das mögliche Aus meines Jobs unser fein austariertes Familiensystem durcheinanderwirbeln würde. Bislang war ich diejenige mit der 5 0-Stunden -Woche und dem regelmäßigen Gehalt, das Johannes’ Auftragsschwankungen als Freiberufler ausgleichen konnte. Objektiv gesehen hatte er also allen Grund besorgt zu sein.
Mir selbst machte noch etwas anderes Sorgen: Diese erste Kündigung konnte mein Abschied sein aus einer Arbeitswelt, wie ich sie kannte. Ich wusste, dass ich zur aussterbenden Spezies der vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer in Festanstellung gehörte – noch dazu war ich 15 Jahre lang durchgehend beim selben Arbeitgeber. Die Regel ist inzwischen permanentes Job-Hopping: Wechsel von Arbeitgebern sowie von Zeiten der Arbeit und Arbeitslosigkeit. Eine Lebensanstellung, wie sie noch für unsere Eltern möglich war, das gibt es heute so gut wie nicht mehr.
Festanstellungen entwickeln sich generell zum Auslaufmodell. Nach Auswertungen des Statistischen Bundesamts haben nur noch zwei Drittel der Erwerbstätigen eine sozialversicherungspflichtige Festanstellung. Vor zehn Jahren waren es noch fast drei Viertel. Dafür nehmen Erwerbsformen deutlich zu, die bislang als »untypische« Beschäftigungen galten: Leiharbeit, befristete Mitarbeit an Projekten und auf Honorarbasis, 40 0-Euro -Jobs und Teilzeitarbeit. Fast acht Millionen Deutsche arbeiten bereits auf diese Art »untypisch«.
Es konnte gut sein, dass dies auch meine Perspektive werden sollte.
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Das Mittagessen
Ich gehöre zu den Menschen, bei denen das Glas immer halb voll ist, niemals halb leer. Als geübte Optimistin wache ich am Morgen nach dem missglückten Shoppingtag guter Dinge auf. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern. Das ist kein Tag für dramatische Ereignisse.
Ich rechne nicht wirklich mit dem Schlimmsten. Aufkommende Zweifel wische ich sofort weg: »Ich bin in Elternzeit und dadurch arbeitsrechtlich besonders geschützt«, sage ich mir. Argument um Argument fällt mir ein, warum schon nichts passieren wird. Unser Team arbeitet schließlich am Vorzeigeprojekt unseres Arbeitgebers. Solche Leute entlässt man nicht. Und falls doch – hier kommt mir leider ein egoistischer Gedanke, den ich nur ungern zulasse –, mir werden sie bestimmt nicht kündigen. Ich bin schon so lange in dem Laden und gut vorangekommen, habe mehrmals die Position gewechselt und viele Krisen überstanden – warum sollte das jetzt auf einmal anders ein?
Oberflächlich beruhigt starte ich gut gelaunt in den Tag und verdränge Jürgens Anruf einfach – bis mich der Personalreferent unangekündigt vom Mittagstisch klingelt.
Während meine 8-jährige Tochter Ella und eine Schulfreundin ihre Teller leer essen, wird mir von Herrn Roth der Rausschmiss angetragen. Es ist offensichtlich, dass ich nicht der erste Mitarbeiter bin, dem er
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