Gegensätze ziehen sich aus
Minuten stehen blieb, würde Frau Hempel, unsere Nachbarin, die Polizei rufen. Frau Hempel rief gern die Polizei. Einmal sogar, weil ich ein vergammeltes Schulbrot von Nelly auf den Komposthaufen geworfen hatte. Als der Polizist mich deswegen nicht verhaften hatte wollen, war Frau Hempel zu ihrem Anwalt gegangen, und der hatte mir einen langen Brief geschrieben, den Zusammenhang der Kompostierung von Brot und dem Vorkommen von Ratten betreffend.
»Eine halbe Weltreise ist das ja, so weit in den Süden«, sagte meine Mutter. »Aber wenn man mal Berge sehen will, geht es nicht anders.«
»Hm, hm.« Ich war ein wenig abgelenkt. Polly und Emily stiegen aus dem Auto und luden Emilys Gepäck aus dem Kofferraum: ein Golfbag, ein elegantes, lilafarbenes Rollköfferchen, eine dazu passende Tasche und ein lebensgroßer Gibbonaffe aus Plüsch. Nicht übel für eine Sechsjährige, die eine Nacht bei Oma übernachtet. Das Gepäck passte farblich zu Emilys Mantel, einem wunderschönen Kordteil mit Kunstpelzbesatz.
»Wir können bei dir einen Zwischenstopp einlegen, es liegt aufder Strecke«, sagte meine Mutter, und damit hatte sie wieder meine volle Aufmerksamkeit.
Mein ganzer Körper verkrampfte sich, Senta und Berger hoben erschrocken ihre Köpfe.
»Ach, wirklich?«, sagte ich. Scheiß-Schwarzwald - warum machten meine Eltern nicht einfach Ferien im Harz? Der lag ohnehin viel näher.
Die Türklingel schnarrte. Sie machte nicht »Kling-Klang« wie andere Klingeln, sondern gab ein höchst unmelodiöses »Krrrrrrrk« von sich. Ein »Krrrrrrrk«, das man in der Küche offenbar nicht hörte, wenn man sang.
»Könnte mal jemand die Tür aufmachen?«, rief ich.
»Wer kommt denn da?«, fragte meine Mutter.
Ach, nur die Mutter meines Liebhabers und dessen Tochter. »Nur ein paar Kinder, die mit Julius spielen wollen«, sagte ich, stand auf und wanderte mit dem Telefon hinaus in den Wintergarten. »Also, wenn ihr uns auf dem Weg in den Schwarzwald besuchen wollt, wäre das natürlich toll ...«
»Wir haben Lorenz' Haus ja noch gar nicht gesehen«, sagte meine Mutter. »Und es wäre schön, wenn wir bei euch übernachten könnten. Auf der anderen Seite, du kennst deinen Vater: Wenn der einmal auf der Autobahn ist, will er wahrscheinlich in einem Rutsch durchfahren.«
Es gab also noch Hoffnung.
»Ihr könnt es euch ja spontan überlegen«, sagte ich und sah hinaus in den herbstlich gefärbten Garten. Von wegen, Lorenz' Haus! Es gehörte mir, notariell beglaubigt und ins Grundbuch eingetragen. Meine Eltern taten immer so, als müsste ich Lorenz dafür dankbar sein, dass er mir das Haus überlassen hatte. Dass er mich und die Kinder hierhin abgeschoben hatte, weil er sich eine Neue/Jüngere/Schönere angelacht hatte, fanden sie nichtweiter schlimm, im Gegenteil, wenn man sie manchmal so hörte, konnte man glauben, dass sie vollstes Verständnis für Lorenz' Wunsch nach einer Veränderung hatten.
»Ich habe mich sowieso immer gefragt, was er an dir findet«, hatte mein Vater gesagt, als ich ihm von der Trennung berichtet hatte.
»Das konnte ja nicht gut gehen«, hatte meine Mutter gesagt. »Wenn du doch wenigstens auf uns gehört und dir zwischendurch mal Arbeit gesucht hättest. All die Jahre nur auf der faulen Haut liegen und sich aushalten lassen! Jetzt stehst du da - ohne Mann und ohne Beruf.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass dich mit den Blagen noch jemand haben will«, hatte mein Vater gesagt.
Ja, so waren sie, meine Eltern. Gott, sie waren fürchterlich!
Wenn ich Glück hatte, würden sie einfach an Köln vorbeirauschen und Anton niemals kennen lernen.
»Ach, hier bist du«, sagte Anton direkt hinter mir.
Ich fuhr zusammen und drehte mich um.
»Meine Mutter und Emily sind da, meinst du, sie ...« Anton sah das Telefon an meinem Ohr, machte eine entschuldigende Geste und wandte sich wieder zum Gehen.
»Bei dir geht es ja zu wie im Taubenschlag«, sagte meine Mutter. »Wer ist das denn?«
»Der Installateur«, sagte ich leise. Aber nicht leise genug. Anton, schon fast im Wohnzimmer, drehte sich um und hob eine Augenbraue.
»Er hat doch etwas Peinliches aus dem Abfluss gefischt, nicht wahr?«, sagte meine Mutter. »Ich wusste es. An deiner Stelle würde ich im Boden versinken.«
»Ja«, flüsterte ich.
Anton hatte den Raum verlassen.
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