Gegensätze ziehen sich aus
verlegt, ein paar überflüssige Wände eingerissen und das meiste Mahagoni entfernt oder weiß gestrichen. Nun war es ein richtiges kleines Schmuckstück geworden, die erste Wohnung, in der ich mich richtig zu Hause fühlte. Vielleicht, weil wirklich alles nach meinem eigenen Geschmack eingerichtet war und mir endlich mal niemand Vorschriften gemacht hatte. Es stand nur noch die Renovierung derBäder an, dann würde alles perfekt sein. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dieses Haus wieder zu verlassen, noch bevor es ganz fertig war, nur weil Anton fand, dass wir unsere Beziehung so schnell wie möglich auf sichere Fundamente stellen sollten. Konnte er das nicht verstehen?
Ich sah ihn von der Seite aus an, und er lächelte mir gut gelaunt zu, während er das Filet in zarte Streifen schnitt. Wie immer, wenn er kochte, begann er leise vor sich hin zu singen und zu summen, diesmal die »Ode an die Freude« von Beethoven. Es dauerte nicht lange, und Julius sang auch mit.
»Freunde schöner Götterfunzeln, Torte des Elysiums«, sang er, während er geschickt die Eier in den Teig schlug. Er hatte das schon unzählige Male getan, denn ich sah mich beinahe täglich genötigt, einen Kuchen oder Muffins zu backen. Vor allem Nelly hatte einen unbändigen Appetit, und ein Tag ohne Kuchen war für sie ein verlorener Tag. Sie fiel immer sofort vom Fleisch, wenn sie nicht mindestens fünftausend Kalorien zu sich nahm.
»Guck, keine Schale in der Schüssel!«
Ich gab Julius einen Kuss.
Samantha warf ein bisschen Mehl in die Luft und freute sich, als wir alle husteten.
»Wer traut sich alles in den Teig, Eierschalen sind zu feig«, sang Anton aus voller Kehle, ich machte »Dummdidummdi-dumm«, Julius trommelte mit dem Schneebesen den Rhythmus dazu, und Samantha steuerte ein glockenhelles Lachen bei. Ich merkte, dass dies einer dieser wunderbaren, perfekten Momente im Leben war, in denen die Zeit ste... - das Telefon klingelte.
Es war meine Mutter.
»Hier ist deine Mutter«, sagte sie.
»Hallo!« Ich verdrückte mich mit dem Telefon aus der Küche, nicht ohne Anton pantomimisch aufzufordern, Samantha am Herunterfallenvon der Arbeitsplatte zu hindern. Anton unterbrach seinen Gesang nicht, aber er lächelte und nickte mir zu.
»Hallo? Hallo? Olav, da ist schon wieder was mit der Leitung nicht in ...«
»Mutti! Ich habe schon den ganzen Morgen auf deinen Anruf gewartet.«
»Irgendwas stimmt mit der Leitung nicht«, sagte meine Mutter. »Ich hatte immer jemand anders dran. Einen Mann, der aber immerhin auch Bauer hieß. Die spinnen doch, die von der Telecom. Was ist denn da bei euch für ein Lärm?«
Ich stellte mich in die hinterste Ecke des Wohnzimmers. Aber der Gesang und das Geklapper von Töpfen war auch hier noch zu hören. »Nur die, äh, Handwerker«, sagte ich.
»Am Sonntag?«
»Ja, wenn die Klospülung kaputt ist, kann man nicht bis Montag warten«, sagte ich und ließ mich neben Senta und Berger auf das Sofa fallen. »Wie ist das Wetter bei euch?«
»Windig und kalt«, sagte meine Mutter. »Aber wir machen nächste Woche Urlaub. Nehmt ihr etwa dieses vierlagige Klopapier? Da muss man sich nicht wundern, wenn das Klo verstopft.«
»Das ist aber schön, dass ihr mal Urlaub macht«, sagte ich. »Wohin soll's denn gehen?«
»In den Schwarzwald. Hat sich kurzfristig ergeben. Dein Bruder kümmert sich in der Zeit hier um alles. Das Weibsstück hat ihn übrigens sitzen lassen.«
»Nach drei Wochen?« Mein Bruder hatte kein Glück in der Liebe, obwohl er eigentlich keine schlechte Partie war. Vor allem, wenn meine Eltern mal tot waren. Aber auf der Insel war die Auswahl an heiratswilligen Frauen nicht besonders groß, und auf das Festland verschlug es ihn nur selten. Wir hatten schon überlegt, ihn in der Fernsehshow Bauer sucht Frau anzumelden.
»Sie mochte keine Kühe. Das konnte ja nicht gut gehen«, sagte meine Mutter. »Habt ihr vielleicht Damen-Hygieneartikel ins Klo geschmissen?«
»Nein«, sagte ich. Für unsere Ferienwohnungen auf Pellworm in einer umgebauten Scheune hatte meine Mutter mich schon als Erstklässlerin mit großen Buchstaben auf Pappschilder schreiben lassen: »Damen-Hygiene-Artikel gehören NICHT in die Toilette, sondern in den dafür vorgesehenen Behälter. Zuwiderhandlung wird strafrechtlich geahndet.« Das hatte sich eingeprägt.
Durch das Fenster sah ich den Mercedes von Antons Mutter vorfahren. Sie parkte mitten auf dem Bürgersteig. Wenn sie dort länger als zwei
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