Gegenschatz
Wind frischt auf und beugt die Äste der Bäume in der Grünanlage. Ich schwinge mich auf mein Mountainbike und trete mit voller Kraft in die Pedale. Auf keinen Fall will ich in ein Gewitter geraten. Um den Berg schneller hinauf zu kommen, stelle ich mich beim Treten auf. Ein dicker Tropfen platscht auf mein Handgelenk. Es herrscht wenig Verkehr auf der Hauptstraße neben dem Radweg, doch plötzlich rauscht der Mercedes von Simon vorbei. Er hält ein Stück weiter vorne an und öffnet die Tür.
«Julia, ich nehme dich mit! Es fängt an zu Gewittern!», ruft er mir zu.
«Auf keinen Fall!», schreie ich zurück und rausche an ihm vorüber.
«Du bist verrückt, das ist lebensgefährlich!»
«Scher dich zum Teufel!», rufe ich, aber ich bin mir nicht sicher, ob er es noch hört.
Jedenfalls fährt er gleich darauf wieder an mir vorbei und verschwindet hinter der nächsten Kurve. Weitere dicke Regentropfen platschen auf mich herab und ich radle im höchsten Gang wie um mein Leben. Plötzlich fährt ein Auto in gleicher Geschwindigkeit neben mir her. Ich traue meinen Augen nicht, als ich das langgezogene Schiff von Marc Rossmann erkenne. Durch ein offenes Fenster ruft er mir etwas zu.
«Hey, willst du mitfahren?»
«Lasst mich doch alle in Ruhe!», schreie ich zurück.
«Sei doch nicht so stur, Honey!»
«Verpiss dich!», rufe ich und erschrecke selbst über meine vulgäre Ausdrucksweise.
Aber vielleicht versteht er diese Sprache ja besser! Doch das Gegenteil ist der Fall! Marcs Schlachtschiff fährt an mir vorüber und hält ein Stück weiter vorne an. Er springt heraus, rennt auf den Radweg und versperrt mir den Weg. Ich bremse scharf, so dass ich schlingere und erst kurz vor ihm zum Stehen komme. Um ein Haar hätte ich ihn überrollt. Er steht dort unbeweglich und sieht mir fest in die Augen.
«Steig ein, Süße! Oder willst als Blitzableiter enden?»
Ich starre ihn eine Weile entgeistert an. Der Regen schickt bereits unablässig Wasser vom Himmel. Soll ich wirklich das Angebot dieses schwanzgesteuerten Nachbarn annehmen, wo ich doch gerade meinem offensichtlich ebenso schwanzgesteuerten Chef entkommen bin? Meine Haare sind bereits leicht durchnässt.
«Lass dir nur nicht zu lange Zeit mit der Entscheidung, Honey!»
«Und mein Fahrrad?», fahre ich ihn wütend an.
Marc greift nach dem Lenkrad meines Mountainbikes.
«Steig ab!»
Der Regen nimmt nochmals an Stärke zu und ich gebe mich geschlagen. Ich steige vom Rad und staune, mit welcher Leichtigkeit es Marc zu seinem Auto trägt und im Kofferraum versenkt. Dann öffnet er die Beifahrertür und wartet, bis ich endlich eingestiegen bin. Ich sitze auf einer cremefarbenen Lederbank, die sich durchgängig von einer zur anderen Autotür zieht. Draußen trommelt der Regen aufs Blech und platscht auf die Scheiben. Mein Herz klopft aufgeregt, als ich mich angurte und zusehe, wie Mac hinter dem Lenkrad Platz nimmt. Seine langen Haare triefen vor Nässe und auch das schwarze T-Shirt klebt auf seiner Haut. Er zieht es über den Kopf und wirft es auf die Rückbank. Ich richte rasch den Blick nach vorne, damit er nicht bemerkt, wie ich seine nackte Brust anstarre. Der Motor heult auf und der Wagen setzt sich in Bewegung. Die Scheibenwischer schieben unablässig quietschend neue Wassermassen beiseite. Ich klammere mich am Sitz fest.
«Sie fahren zu schnell!», rufe ich.
Marc wirft mir einen finsteren Blick zu. Der Regen prasselt auf die Scheiben. Plötzlich taucht ein LKW vor uns in der Gischt auf. Er fährt sehr langsam, wahrscheinlich wegen der schlechten Sicht bei dem Regen.Wir folgen ihm einige Zeit und Marc wird merklich ungeduldiger. Immer wieder schert er aus und prüft die Sicht auf die Gegenfahrbahn. Plötzlich blinkt er und setzt zum Überholen an. Ich schreie.
«Du kannst doch hier nicht überholen, wir sehen doch rein gar nichts!»
«Hey! Klappe! Ich fahre!», entgegnet er scharf.
Das Auto wechselt die Fahrbahn, während es die Wassermassen auf der Straße beiseite pflügt. Da taucht vor uns ein weißes Auto aus dem Regen. Es hatte die Scheinwerfer nicht eingeschaltet und war in der Gischt so schwer zu erkennen, dass wir es viel zu spät erblickten. Ich schreie entsetzt. Wir können nicht mehr nach rechts, weil dort der LKW die Fahrbahn versperrt. Marc bremst, weicht im letzten Augenblick nach links aus, holpert in raschem Tempo über den grasbewachsenen Grünstreifen zum Radweg, auf dem er schlingernd weiter saust. Der Regenvorhang gibt die Sicht auf
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