Gegenschatz
eine Unterführung frei, auf die wir geradewegs zusteuern. Rechts versperren nun Bäume den Rückweg auf die Straße.
«Bremsen!», schreie ich außer mir vor Angst, als wir viel zu schnell auf das dunkle Loch der Unterführung zusteuern.
Dieser Teil ist für Fahrräder gemacht und definitiv zu eng für das breite Auto.
«Fuck it!», schreit Marc, während er voll in die Bremse tritt und der Wagen schlingert.
Gerade als er sich auf der Fahrbahn stabilisiert, tauchen wir in die dunkle Öffnung ein, die Rückspiegel werden davon geschleudert und das Blech an den Seiten quietscht, als erlitte es Höllenqualen, während sich unsere Fahrt ruckartig verlangsamt und ich nach vorne in den Gurt gepresst werde. Über Airbags verfügt diese alte Kiste natürlich nicht. Dann stehen wir still. Das grauenhafte Quietschen hallt noch immer in meinen Ohren. Der Motor und die Scheinwerfer sind aus. Gerade mal ein Teil des Kofferraums wird noch im Freien vom Regen bespritzt, der Rest des Autos steckt in der Unterführung. Es ist dunkel hier drin und ich höre nur das Rauschen des Regens von draußen. Links zieht sich eine massive Mauer entlang, während wir von rechts durch einen breiten Betonpfeiler eingeklemmt werden, der uns von der Straße trennt. Ich muss gar nicht erst versuchen, die Tür zu öffnen, um zu wissen, dass sie sich keinen Millimeter bewegen wird. Die Mauer liegt so eng an, das auch durch die herunter gekurbelten Fenster kein Entkommen möglich wäre. Wir stecken fest und sitzen in der Falle.
«Fuck!», flucht Marc und schlägt wütend auf das Lenkrad ein.
Er dreht verzweifelt am Zündschlüssel, doch dem Motor entweicht nicht einmal ein Röcheln.
«Fuck! Fuck!»
Auch ich bin stinksauer. Schließlich war das Überholmanöver absolut idiotisch und unnötig. Es hätte uns beide umbringen können.
«Was regen sie sich so auf! Das war doch abzusehen, dass das so ausgeht! Wir können von Glück sagen, dass wir es überlebt haben!», schimpfe ich wütend drauf los.
Ein Blitz erleuchtet für den Bruchteil einer Sekunde das Auto und ich sehe, wie Marc mir einen bitterbösen Blick zuwirft.
«Mit biederer Besserwisserei kommen wir jetzt nicht weiter! Und hör endlich mit diesem spießigen Gesieze auf, Tussi!»
Oha! Das ich das noch mal erleben darf, das der immer coole, relaxte Marc seine Fassung verliert, hätte ich nicht für möglich gehalten. Ein Donner kracht herab und zerreißt die Luft um uns förmlich in Stücke. Aber das hält mich nicht davon ab, weiter auf Marc einzuschimpfen.
«Pubertärer Vollidiot! Mit ihrem machohaften Fahrstiel hätten sie uns fast umgebracht!»
«Ach ja? Aber bei Gewitter mit dem Fahrrad durch die Gegend zu radeln ist absolut ungefährlich, was? Mit wie viel Intelligenz muss man da rechnen bei einer Akademikerin? Liegt dein IQ noch unter 80 oder schon leicht darüber?»
Ich wundere mich, dass er ganze sinnvolle Sätze hervorbringt, denn bisher hatte er ja nie allzu viel mit mir geredet. Dennoch geben mir seine Beleidigungen neues Feuer für meinen Zorn.
«Wow! Ich hätte ja nicht gedacht, dass ihr Wortschatz noch mehr hergibt, als ‘Fuck’, ‘Süße’ und ‘Entspann dich’!»
Ich spucke ihm diese Worte förmlich ins Gesicht.
«Nein? Da staunst du was! Fakt ist, du weißt rein gar nichts von mir! Du lebst in deiner ach so versorgten spießigen Welt und hast nicht den blassesten Schimmer vom wirklichen Leben!»
«So, aber sie kennen das wirkliche Leben, ja? Sie flüchten doch vor jeder Realität, indem sie sich mit Drogen zudröhnen und in wilden Sexpartys Zuflucht suchen! Das ist doch nichts weiter als pure Verdrängung! Von diesen schwanzgesteuerten Arschlöchern hab ich echt die Nase voll!»
Die Wut, die in mir bei diesem Gedanken frei wird, gilt nur zum Teil Marc, den größeren Part verantwortet Simon.
«Aber du in deinem Elfenbeinturm weißt, was so abgeht in der Welt, ja? In deiner Spießigkeit weißt du doch gar nichts vom echten Leben. Ich wette, du bist dir sogar selbst so fremd, dass du nicht mal kommst im Bett!»
Das haut rein! Damit hat er eine empfindliche Schwachstelle getroffen und mich zum Schweigen gebracht. Marcs tiefe Stimme dröhnt in meinen Ohren und Tränen bahnen sich ihren Weg über meine Wangen. Tränen, die nicht nur wegen Marcs Bemerkung über meine Frigidität fließen, sondern vor allem wegen dem Gefühl, das Simon mit seinem übergriffigen Sex bei mir hinterlassen hat - ein Gefühl der Leere. Es ging Simon nicht um mich, nicht darum, was
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