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Gegenwinde

Gegenwinde

Titel: Gegenwinde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Adam
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Streifen Licht. Wir bastelten im Haus herum, plünderten ein paar Läden, aber die meiste Zeit verbrachten wir draußen, genossen Meer und Sand, die sich uns verschwenderisch darboten, unter einer verdächtigen, für die Jahreszeit allzu großzügigen Sonne. Was mir geboten wurde, das nahm ich, ohne mich zu zieren, das Leben hatte uns nur zu lang die kalte Schulter gezeigt. Ich war bloß ein wenig auf der Hut, das Misstrauen war mir zur zweiten Natur geworden, dieses Zwischenspiel würde ohne Vorankündigung enden. Vorläufig aber waren die Kleinen ruhig und heiter, ab und zu blitzte Freude in ihren Gesichtern auf, die Landschaft war Balsam auf ihre Seelen. Wir spielten stundenlang Ball, warfen uns unter dem klaren Himmel Frisbeescheiben zu, Manon buddelte unermüdlich im Sand. Ich setzte mich an einen Plastiktisch der Strandbar, Denise brachte mir meinen Kaffee und ging wieder hinein, um sich in ihrem ledergarniturgeschmückten Wohnzimmer aufzuwärmen. Sie hatte mich aufwachsen sehen und freute sich, mich wiederzusehen. Nach Sarah fragte sie mich nicht. Hier waren alle auf dem Laufenden. Selbst im Pariser Exil blieben Einheimische Einheimische, man erkundigte sich beiläufig nach ihnen und wartete auf ihre Rückkehr in den Ferien oder für immer, niemand ging wirklich fort, am Ende kam man wieder, ohne Luft und Himmel vermoderte man langsam. Ich las die Zeitung, während ich mit einem Auge die Kinder beaufsichtigte, ich blätterte die Seiten um, doch nichts berührte mich wirklich, nichts konnte mich erreichen, alles war so endgültig weit weg. Ich hatte in diesen wüsten Tagen, in denen wir verstört dahintrieben, nie aufgehört, Zeitung zu lesen, es gab mir das Gefühl, am Ball zu bleiben. Eine Verbindung zur Welt aufrechtzuerhalten, als alles um uns herum zusammenbrach. Manchmal fing es ohne Vorwarnung an zu schütten, wir flüchteten uns in das saubere, kahle Haus, bei brennenden Lichtern fühlten wir uns verloren wie auf dem offenen Meer. Flüsternd lauschten wir dem Platzregen, der Himmel draußen war lila, und in der Ferne kündigte ein gelber Vorhang die Fortsetzung an, wir drückten unsere Nasen an die Scheibe, um den Regenbogen zu bewundern, die Sonne schien herein, zeichnete schwarz die Fenstersprossen auf den Boden, für Manon waren es die Felder von Himmel-und-Hölle. Wir warteten keine Minute länger und gingen wieder hinaus, wir nahmen nicht die Treppe, sondern glitten direkt den Felsen hinunter, der glatte, nasse Granit war eine ideale Rutschbahn. Die Schuhe landeten in einer eiskalten Pfütze, in der Algen zitterten und Seeanemonen leuchteten. Manon sammelte Strandschnecken, Clément machte Jagd auf Muscheln, am Abend zuvor war seine Tasche voll davon gewesen, wir sortierten sie nach Form und Farbe, es dauerte wahnsinnig lang und führte zu nichts, aber die Kinder machten es mit bemerkenswertem Ernst, es schien eine besondere Bewandtnis damit zu haben, etwas Geheimnisvolles, Unerklärliches war da im Spiel.
    Über all das legte sich die dumpfe Angst des Sonntagabends wie ein Schleier. Das erschreckte mich aber nicht. Am nächsten Tag fing die Schule wieder an, es würde mein erster Tag sein, es war sogar beruhigend, eine so vertraute Beklommenheit zu spüren, deren Ursprung man kannte. Ein Gefühl, das aus der Kindheit kam, wir aßen vor dem Fernseher zu Abend, im Schlafanzug und mit feuchtem Haar, nach den Pommes von Samstagmittag den Hotdogs von Samstagabend und dem Sonntagsbraten hatte die Mahlzeit selbst etwas Nüchternes und verwies darauf, dass man wieder zur Tagesordnung überging, vor unseren Tellern schien sich alles plötzlich zusammenzuziehen, unsere Lungen, der Raum, die Zeit selbst. Eine diffuse Traurigkeit hatte uns im Griff, bis wir schlafen gingen, und noch Jahre später, als ich nirgendwo mehr hinmusste, in kein Büro und in keine Schule, und nichts den Montag eindeutig vom Sonntag zu unterscheiden erlaubte, sollte mich das gleiche Gefühl überkommen, mir blieb die Luft weg, der Magen krampfte sich zusammen.
    Um neun Uhr brachte ich die Kinder zu Bett. Die Sackgasse war wie ausgestorben, und an den Fenstern der Häuser wurden die Rollläden heruntergelassen. Alles schien zu stocken, die Zeiger auf dem Zifferblatt der Uhr standen still, wäre man in die Nacht hinausgegangen, hätte man die Vögel im Flug erstarrt und das Meer reglos gefunden, wäre man in die Zimmer eingedrungen, hätte man Schlafende gefunden, die nicht mehr atmeten, und Frauen, die in der Stille der Küchen zu

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