Geh@ckt: Wie Angriffe aus dem Netz uns alle bedrohen. Ein Agent berichtet (German Edition)
Keine gute Idee. Klappt wahrscheinlich, ist trotzdem kein wirklich hervorragender Einfall. Nicht nur, dass Erpressung verboten ist, es ist auch keine fundamentale Basis für eine gute Zusammenarbeit, wenn man jemanden gegen seinen Willen oder unter Zwang um Hilfe bittet. Durch Erpressung oder auch mittels eines Kompromats zum Ziel zu kommen bringt höchstens kurzfristig Erfolg. Wir wollen jedoch Menschen gewinnen, die aus freien Stücken und gern mit uns kooperieren und nicht ständig darauf aus sind, sich zu rächen. Und zwar auf lange Sicht. Kompromate finden bei uns nicht statt.»
Er drehte sich wieder zur Pinnwand um: «Was haben wir hier noch? Aha, ‹Einbrechen›. Das ist eindeutig gesetzwidrig – weg damit. ‹Gewalt?› Wer hat denn das geschrieben? Am besten stecken wir denjenigen gleich in den Umschlag mit den Vorschlägen für den Nahen Osten dazu», scherzte unser Ausbilder.
So oder so ähnlich ging es weiter und weiter. Die meisten Zettel verschwanden von der Wand. Nur wenige blieben übrig, darunter auch welche von unserem Team: «Dinge abfotografieren oder fotokopieren», «Abhören», «fragen» («Einfach dumm» hatte er mit einem schwarzen Edding-Stift durchgestrichen), «Müll durchwühlen», «Mitarbeiter unter falschen Tatsachen ausfragen», «offene Informationen zu einem Bild zusammenfügen» und noch einige andere.
Im Anschluss, nach einer kurzen Pause, sollten wir uns überlegen, wie wir genau vorgehen wollten, um mit diesen Methoden an Informationen zu gelangen. Dazu ordnete Dr. Hasenclever jedem Zettel einen der drei Arbeitsweisen des Dienstes zu: HUMINT , SIGINT und OSINT .
Jedes Team bekam dann ein Thema und die dazugehörigen Zettel von der Pinnwand als Anhaltspunkte zurück. Unsere Gruppe sollte sich mit der Arbeitsweise HUMINT auseinandersetzen. Langsam wurde uns klar, was das Ziel dieses Unterrichts war. Dr. Hasenclever wollte uns dazu bringen, die Informationsbeschaffung detaillierter zu durchdenken und dabei kreativ zu sein. Wir sollten Abstand nehmen von alten Agentenklischees, von James-Bond-Filmen – und anfangen, wie echte Nachrichtendienstler zu denken. Vorstellungen von einer Yacht in der Karibik, auf der man stand, in einem schwarzen Frack, mit weißem Hemd und einer Fliege, in der Hand einen Wodka-Martini, sollten wir schleunigst vergessen. So sah und so sieht Nachrichtendienst nicht aus. Schnelle Autos, schöne Frauen, Fehlanzeige. Dafür einen Ford Mondeo in Behördenblau und ganz ohne elektrische Fensterheber und Zentralverriegelung sowie jede Menge Verwaltungskram. Unauffälligkeit und Normalität sind zwei Faktoren, die wesentlich und entscheidend für erfolgreiches operatives Arbeiten sind. Ideenreichtum und Kreativität, auch das sind gefragte Instrumente. Die operative Arbeit eines Nachrichtendienstlers bedeutet viel akribische und aufwendige Tüftelei, situatives Geschick und Improvisationskunst. Da müssen Hunderte kleiner Puzzleteile an Informationen, die in einzelnen Operationen von verschiedenen Akteuren beschafft wurden, von Analysten zu einem stimmigen Gesamtbild zusammengefügt werden. Daraus werden dann Lageberichte erstellt, die anschließend an die Bedarfsträger verteilt werden. Das ist schon eher Nachrichtendienst.
Wir sollten also versuchen, mit Hilfe des Einsatzes von menschlichen Quellen Informationen zu beschaffen. Aber wer waren überhaupt die Geheimnisträger? Diese Menschen mussten zuerst identifiziert werden. Allerdings, und das erschwert die Sache enorm, werden die Namen solcher Personen nicht gerade in irgendwelchen Listen gehandelt, in denen genau beschrieben steht, wer über welches Wissen verfügt und wer ihr Arbeitgeber ist. Wir überlegten, wie man dennoch an diese Informationen herankommen könnte. Man müsste die Fragestellung herumdrehen. Nicht: Wer ist Geheimnisträger, sondern: Welche Institutionen beschäftigen sich mit den interessanten Themen. Hat man herausgefunden, um welche Unternehmen oder Organisationen es sich handelt, hangelt man sich langsam sternförmig von diesem Zielobjekt weiter. Welche Beziehungen führen von diesem zu anderen Unternehmen, Organisationen oder Universitäten? Wie sieht es mit Zulieferern, Reinigungspersonal, Wirtschaftsprüfern, Beratern oder Studenten aus? Werden vielleicht Praktika im Zielobjekt angeboten, könnte man sich eventuell sogar bewerben? Welche Konkurrenzunternehmen gibt es? Wie ist die Umgebung des Zielobjekts? Welche Lokale liegen um die Ecke? Gibt es Restaurants, in denen
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