Geheime Melodie
aber ich schenkte es mir. In meinen Gedanken war gerade kein Platz für Pater Michael oder meine Füße, afrikanisch oder nicht. Und eigentlich auch nicht für Mr. Andersons Mission von höchster nationaler Wichtigkeit, sosehr ich wie stets darauf brannte, meiner Königin und meinem Lande zu Diensten zu sein. Ich konnte nur eines denken – daß sich mir hier aus heiterem Himmel ein Fluchtweg bot, eine dringend benötigte Dekompressionskammer: zwei Tage einträglicher Arbeit sowie zwei Nächte einsamen Meditierens in einem Luxushotel, in denen ich mein aus den Fugen geratenes Universum wieder zusammensetzen könnte. Denn während ich mein Telefon aus der Innentasche meiner Smokingjacke herausgenestelt und an mein Ohr gebracht hatte, hatte ich den noch an mir haftenden Geruch Hannahs eingeatmet, der schwarzafrikanischen Krankenschwester, mit der ich mich von gestern kurz nach dreiundzwanzig Uhr britischer Sommerzeit bis zur Sekunde meines Aufbruchs vor einer Stunde und fünfunddreißig Minuten st ürmisch geliebt hatte, weshalb mir in meiner Eile, rechtzeitig zu Penelopes Empfang zu kommen, keine Zeit mehr zum Waschen geblieben war.
2
Ich bin kein Mensch, der an Vorzeichen glaubt, an Auguren, an Fetische, an Wei ße oder Schwarze Magie, auch wenn ich davon garantiert etwas mit der Muttermilch eingesogen haben muß. Tatsache ist dennoch, daß mein Weg zu Hannah auf der ganzen Strecke ausgeschildert gewesen war, hätte ich nur Augen gehabt, es zu sehen.
Das erste nachgewiesene Zeichen erhielt ich an dem Montagabend vor jenem schicksalhaften Freitag, im Bella Vista in der Battersea Park Road, unserer Trattoria ums Eck, wo ich in h öchst untrauter Einsamkeit bei aufgewärmten Cannelloni und einer Karaffe von Giancarlos gemeingefährlichem Chianti saß. Zu Erbauungszwecken las ich in meiner Taschenbuchausgabe von Antonia Fräsers Cromwell, Our Chief of Men – englische Geschichte war meine Achillesferse, aber ich arbeitete an mir, freundlich angeleitet von Mr. Anderson, der sich in der Vergangenheit unserer Insel bestens auskannte. Die Trattoria war leer bis auf zwei andere Tische: den großen am Fenster, den eine redefreudige Gruppe von Tagesausflüglern belegt hatte, und das Katzentischchen, an dem an diesem Abend ein sehr distinguierter älterer Herr saß, emeritiert möglicherweise, winzig klein von Statur. Seine Schuhe waren blitzblank poliert, das fiel mir sofort auf. Für polierte Schuhe habe ich seit meinen Herz-Jesu-Tagen einen Blick.
Mein einsames Cannelloni-Mahl war so nicht geplant gewesen. Es war unser f ünfter Hochzeitstag, und ich war von der Arbeit nach Hause geeilt, um Penelope ihr Lieblingsgericht zu kochen, Coq au Vin mit einer Flasche edelsten Burgunders, gefolgt von einem reifen Brie, den ich mir in unserem Feinkostgeschäft frisch vom Rad hatte schneiden lassen. Ich hätte die Unwägbarkeiten des Journalistenalltags mittlerweile gewöhnt sein sollen, aber als sie anrief, um mir mitzuteilen – in flagranti im wahrsten Sinne des Wortes, denn ich flambierte gerade die Hähnchenteile –, daß eine Krise im Privatleben eines Fußballstars es ihr unmöglich machen würde, vor Mitternacht daheim zu sein, reagierte ich in einer Weise, die mich im Rückblick schockierte.
Ich schrie sie nicht an, daf ür bin ich nicht der Typ. Ich bin ein unterkühlter, angepaßter mittelbrauner Brite. Ich halte mich zurück, oft in größerem Maße als diejenigen, denen ich mich angepaßt habe. Ich legte behutsam den Hörer auf. Dann kippte ich ohne jede weitere Überlegung oder Abwägung Huhn, Brie und die schon geschälten Kartoffeln in den Abfallhäcksler neben der Spüle, legte den Finger auf den Startknopf und ließ ihn dort, wie lange, weiß ich nicht, aber beträchtlich länger als technisch notwendig; das Hühnchen war jung und bot wenig Widerstand. Als ich wieder zu mir kam, stürmte ich den Prince of Wales Drive entlang Richtung Westen, den Cromwell in die Jackentasche gestopft.
Sechs Essensg äste saßen um den ovalen Tisch im Bella Vista: drei fleischige Männer in Blazern mit drei nicht minder korpulenten Gattinnen, alle sechs die gu ten Dinge des Lebens sichtlich sattsam gew öhnt. Sie waren aus Rickmansworth, mußte ich erfahren, und sie nannten es Ricky. Sie hatten sich im Battersea Park eine Freilichtaufführung des Mikado angesehen. Die führende Stimme, die einer der Gattinnen, rügte die Inszenierung. Sie habe nie viel von den Japanern gehalten – nicht wahr, Darling? –, und dieses Gesinge
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