Geheimnis des Feuers
schüttelte den Kopf und weckte Sofia vorsichtig.
»Du hast geschlafen«, sagte sie. »Wasch dich, solange das Wasser noch warm ist.«
Hinterher, nachdem Sofia sich abgetrocknet und die Beine angelegt hatte, kam Doktor Raul sie holen.
»Jetzt musst du schlafen«, sagte er. »Morgen reden wir darüber, wie es weitergehen soll.«
»Ich kann nicht bei Lydia bleiben«, wiederholte Sofia.
Doktor Raul nickte.
»Darüber reden wir morgen«, sagte er. »Nicht jetzt.«
Sofia lag in einem Bett. Es stand in Doktor Rauls Arbeitszimmer. Ein Zimmer voller Bücher und mit einem Tisch voller Papiere und Zeitungen. Durch das Fenster fiel Licht von einer Straßenlaterne. In der Ferne konnte Sofia Stimmen hören. Das waren Dolores und Doktor Raul, die sich unterhielten. Es gab ihr Geborgenheit. Auch wenn sie allein war in dem Zimmer mit all den Büchern, gab es Menschen in der Nähe. Sie schloss die Augen und schob alle Gedanken beiseite. Bald schlief sie.
Dolores und Doktor Raul tranken Kaffee und unterhielten sich darüber, was mit Sofia geschehen sollte. »Sie muss wieder nach Hause«, sagte Dolores. »Wir können ihre Probleme nicht lösen.«
Doktor Raul wusste, dass seine Frau Recht hatte. Aber gleichzeitig bezweifelte er, dass Sofia seinen Rat befolgen würde. Sie war den weiten Weg von Boane gekommen, sie war in der unerträglichen Hitze vorwärts gehüpft auf ihren Krücken und hatte nicht aufgegeben. Und er begriff, dass die Kraft, die in ihr war und die ihr geholfen hatte zu überleben, dass diese Kraft sich jetzt weigerte, mit einem Stiefvater zu leben, der sie auslachte, wenn sie hinfiel, und dass diese Kraft viel größer war, als er geahnt hatte. Doktor Raul stellte die Kaffeetasse hin.
»Ich werde mit Sulemane reden«, sagte er.
»Einige Tage kann sie bleiben«, sagte Dolores, »aber nicht länger.«
Sulemane saß bei der Pforte und reparierte seine Schuhe. Sein schwarzes Gesicht war kaum zu erkennen in der Dunkelheit. Doktor Raul hatte einen Gartenstuhl mitgenommen und setzte sich. Der Abend war mild. Doktor Raul erzählte Sulemane von Sofia, während Sulemane unbeeindruckt seine Schuhe reparierte. Die Stiefelsohlen hatten sich gelöst. Sulemane hatte einen Hammer und schlug die kleinen Nägel fest. Doktor Raul wunderte sich, dass er in der Dunkelheit überhaupt etwas sehen konnte. Nachdem Doktor Raul verstummt war, saßen sie still da. Nur Sulemanes Hammer war zu hören. Doktor Raul wusste, dass Sulemane erst einmal über das nachdachte, was er gesagt hatte. Erst wenn Sulemane sich eine eigene Meinung gebildet hatte, würde er antworten. Eine Stunde verging. Sulemane nagelte seine Sohlen, Doktor Raul wartete.
Als die Schuhe fertig waren, sprach Sulemane. »Ihre Mutter wird sie eher oder später abholen«, sagte er. »Bis dahin können wir vermutlich gar nichts tun.« »Wie lange dauert das?« »Eine Woche. Oder einen Monat.« »Aber so lange kann sie nicht bei uns wohnen.« Ein neues Problem war entstanden. Sulemane dachte nach, Doktor Raul wartete.
»Sie könnte bei meiner Schwester Hermengarda wohnen«, sagte Sulemane schließlich. »Meine Schwester hat zwischen der Kirche und dem Gemüsemarkt ein Haus.« Das ist ein guter Vorschlag, dachte Doktor Raul.
Der Markt war gar nicht weit entfernt. Wenn Sulemane sagte, Sofia könnte bei seiner Schwester wohnen, dann war das auch so.
»Ich werde natürlich für sie bezahlen«, sagte Doktor Raul.
Sulemane gab keine Antwort. Doktor Raul wusste, dass er jetzt darüber nachdachte, wie viel Geld seine Schwester bekommen müsste. Und das würde Sulemane am Morgen danach erhalten. Doktor Raul kehrte in sein Haus zurück und erzählte Dolores, was Sulemane gesagt hatte.
»Vielleicht holt sie ihre Tochter ab«, antwortete Dolores.
»Hoffentlich hat Sulemane Recht.«
»Er irrt sich selten«, sagte Doktor Raul.
Sie gingen schlafen. Bevor sie die Lampen in ihrem Haus löschten, ging Raul in sein Arbeitszimmer. Sofias Kopf war schwarz auf dem weißen Kissen. Eine Weile stand er da und betrachtete sie, während sie schlief.
Dann legte er sich in sein eigenes Bett.
»Ein sonderbares Mädchen«, sagte Dolores.
»Wer ihr begegnet ist, vergisst sie nie«, sagte Doktor Raul. »Ich weiß auch nicht, woher das kommt.«
Sofia zog zu Sulemanes Schwester Hermengarda. Das Haus war klein und viele Menschen wohnten darin. Für Hermengarda kam es auf eine Person mehr in der Familie auch nicht an. Sie war groß und kräftig und verkaufte lebende Hühner auf dem Markt. Jeden
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