Geheimnis des Feuers
auf der Rückseite der Hütte getreten war, hatte sie ihr Zuhause verloren. Lydias neuer Mann wollte Lydia haben, nicht ihre Kinder. Sofia hatte schon früher von Stiefvätern gehört, die die Kinder hinauswerfen, die eine Frau schon vorher hatte. Aber niemals hatte sie sich vorstellen können, dass es auch Lydia passieren könnte. Im nächsten Augenblick schämte sie sich ihrer Gedanken. Vielleicht stimmte trotz allem, was Lydia gesagt hatte. Er war nur bösartig, wenn er Tontonto getrunken hatte.
Sie aßen schweigend. Alfredo saß so weit vom Feuer entfernt, wie es nur ging. Er versteckte sich in der Dunkelheit an Sofias Seite. Lydia sprach den Mann mit dem Namen Isaias an. Sofia schien es, als fürchtete auch sie sich vor ihm. Sie konnte nicht verstehen, warum Lydia sich für einen Mann entschieden hatte, der ihre Kinder nicht mochte.
Einen Mann, vor dem sie sich fürchtete. Sofia erkannte ihre Mutter nicht wieder. Was war mit ihr geschehen? Sie dachte daran, wie Lydia früher gewesen war. Voller Kraft, ständig redend, lachend, tanzend, arbeitend. Jetzt saß sie zusammengesunken da, ihr Gesicht schien geschrumpft zu sein und ihr waren Zähne ausgefallen. Nachdem sie gegessen hatten, ging Isaias ohne ein Wort in die Hütte. Bald darauf war sein Schnarchen zu hören. »Wohnt er hier?«, fragte Sofia.
»Er kümmert sich um uns«, antwortete Lydia. »Du musst ihm gehorchen, wie du mir gehorchst.« »Was macht er?«, fragte Sofia.
»Er hat keine Arbeit«, sagte Lydia. »Aber er sucht sich etwas, womit er Geld verdienen kann.« »Wie soll er uns helfen können, wenn er nicht arbeitet?« Sofia merkte, dass sie ihren Zorn und ihre Traurigkeit nicht verbergen konnte. Ihre Freude, wieder zu Hause zu sein, war erloschen. Mit Isaias würde das Leben nur noch schwerer werden. Wie sollte sie einem Mann gehorchen können, der ihr zeigte, dass er sie nicht mochte? »Ich finde, er soll hier nicht wohnen«, sagte Sofia. Lydia wurde böse. »Willst du mir sagen, was ich zu tun habe?«, schrie sie. »Ich habe einen neuen Mann gefunden, wir haben schon ein Kind miteinander und du widersprichst mir.«
Dann begann sie zu weinen. Sofia bereute so zu Lydia gesprochen zu haben. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es für Lydia war, so lange ohne Hapakatanda zu leben, und sie beschloss, es trotz allem gut zu finden, dass Isaias von nun an mit ihnen zusammenleben würde.
Aber Isaias trank jeden Tag. Mehrere Male schlug er Alfredo. Lydia schien immer mehr zu schrumpfen. Aber sie ließ ihn bestimmen. Sofia zwang sich zu denken, alles würde anders werden.
Einige Wochen vergingen. Sofia hatte die Krücken gegen die Hüttenwand gelehnt und war dabei, den Hof zu fegen. Mit Hilfe des Besens konnte sie die Balance halten. Plötzlich war da jemand, der den Besen an sich riss. Sofia verlor das Gleichgewicht und fiel.
Es war Isaias. Sofia sah, dass er nicht getrunken hatte. Offenbar fand er, er habe etwas Lustiges getan, denn er lachte. Dann warf er den Besen neben ihr auf die Erde. »Jetzt habe ich dich aber überrascht, wie?«, sagte er.
Sofia gab keine Antwort. Sie packte den Besen und richtete sich auf. Dann fegte sie weiter.
An diesem Abend saß sie lange am Feuer. Sie hatte beschlossen wegzugehen. Hier konnte sie nicht bleiben.
Alfredo tat ihr Leid, aber sie konnte ihn nicht mitnehmen. Wohin sie gehen würde, wusste sie nicht. Dann beschloss sie in die Stadt zurückzukehren. Vielleicht gab es dort jemanden, der ihr helfen konnte. Wenn nicht, musste sie es machen wie so viele andere. Sich auf die Straße setzen und betteln. Was immer geschah, es war besser als zu bleiben. Früh in der Dämmerung wollte sie aufbrechen. Da sie kein Geld hatte, musste sie in die Stadt gehen. Sie wusste nicht, ob sie das schaffen würde. Die Riemen, mit denen ihre Beine an ihrem Körper festgeschnallt waren, könnten reißen. Dann würde ihr nichts anderes übrig bleiben als weiterzukriechen.
Trotzdem zögerte sie nicht. In der Stadt gab es Doktor Raul. Er würde ihr helfen.
In dieser Nacht ging sie nicht in die Hütte. Sie saß am Feuer und sah es verglimmen. Die Nacht war mild und sie nickte ein, den Rücken gegen die Wand der Hütte gelehnt. Dann brach sie auf. Sie drehte sich nicht um, als sie das Dorf verließ.
Sie brauchte drei Tage in die Stadt. Den größten Teil des Weges hüpfte sie vorwärts mit Hilfe ihrer Krücken.
Hin und wieder hielt ein Auto an und nahm sie einige Kilometer mit. Jemand gab ihr ein Stück Brot. Wasser trank sie aus
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