Geheimnisse einer Lady
fassen, eine Lösung zu finden. Die Zeit ist zu knapp bemessen, um Geschichten zu erzählen, dachte Kate unwillig.
Aber Louisa richtete sich auf und schenkte ihm ihre ganze Aufmerksamkeit. „Nein“, sagte sie leise. „Ich weiß so gut wie nichts von Ihrer langen Reise. Wie war denn China? Sehr fremd und exotisch?“
Ned schlug die Beine übereinander, schenkte Louisa ein Lächeln und lehnte sich bequem zurück. Kates Unmut wuchs.
„Es war enervierend“, antwortete er. „Ausgesprochen enervierend. Ursprünglich ging ich davon aus, dass meine Mission nach zwei oder drei Monaten erledigt wäre. Aber kurz vor meiner Ankunft verschärften sich die Feindseligkeiten. Wir waren gezwungen, mit unserem Schiff in einem kleinen abgelegenen Hafen vor Anker zu gehen. Erst nach wochenlangen beschwerlichen Fußmärschen erreichte ich Hongkong. Aber ich hatte Gareth mein Wort gegeben, die Opiumsituation in China auszukundschaften, und war entschlossen, meinen Auftrag zu erfüllen – kriegerische Auseinandersetzungen hin oder her. Ich war schließlich nicht um den halben Erdball gereist, um mich mit Berichten aus zweiter Hand abspeisen zu lassen. Vielmehr wollte ich mich persönlich von den Aktionen der britischen Truppen überzeugen.“
Kate stemmte eine Hand in die Hüfte und klopfte ungeduldig mit dem Fuß auf den Lehmboden.
Ned verschränkte die Arme hinter dem Kopf und richtete den Blick in die Balkendecke. „Der Mann, mit dem ich verhandeln musste, war Captain Adams. Der befehlshabende Offizier über eine Bande nichtsnutziger Sprösslinge aus englischem Hochadel, die nur deshalb in den Orient geschickt worden waren, weil kein Mensch in England ihnen eine Träne nachweinte. Er verachtete uns alle und wusste bereits beim ersten Blick, was er von mir zu halten hatte.“
„Hielt er dich für einen Mann, dem als Nachkomme eines Marquess Respekt gebührte?“, fragte Kate spitz. „Ein Mann, der Entscheidungen zu treffen wusste?“
Ned warf ihr ein flüchtiges Lächeln zu, ohne sie weiter zu beachten. „Keineswegs. Er hielt mich für nutzlos, für einen Grünschnabel, der ihm nur Scherereien machen würde.“
„Ich hoffe, du hast ihn eines Besseren belehrt, dich so vorschnell zu verurteilen“, sagte Kate. „Aber um auf Louisa zurückzukommen …“
Er zuckte mit den Schultern. „Er hatte recht. Ich sprach jeden Tag in seiner Dienststelle vor und legte ihm mein Gesuch dar, als Beobachter an Bord eines der Kriegsschiffe zu gehen, die in das Mündungsdelta des Pearl River ausliefen. Zunächst wiegelte er ab. Als er schließlich am Ende seiner Geduld war, sagte er: ‚Ausgeschlossen‘. Nach drei Wochen meiner unaufhörlichen Gesuche fuhr er mich an: ‚Herrgott Mann, habt ihr nichtsnutzigen Strolche kein Hirn im Kopf, um zu begreifen, dass ich Wichtigeres zu tun habe? Hören Sie auf, mir auf die Nerven zu gehen.‘“
„Aber dann willigte er endlich ein“, vermutete Kate. „Was nun Louisa betrifft …“
Neds Lächeln wurde breiter. „Nein. Keineswegs. Nach einer weiteren Woche drohte er mir: ‚Mr Carhart, Gott ist mein Zeuge, wenn Sie noch einmal einen Fuß über diese Schwelle setzen, werden Sie es für den Rest Ihres Lebens bereuen.‘“
Kate bemerkte, dass Louisa sich vorbeugte und an seinen Lippen hing. Als Ned eine nachdenkliche Pause einlegte, bat sie: „Bitte, hören Sie nicht auf. Haben Sie es getan? Haben Sie sein Amtszimmer noch einmal betreten?“
„Selbstverständlich. Und ich hatte einen Heidenbammel davor. Aber ich hatte Gareth versprochen, erst abzureisen, nachdem ich mich persönlich von den Vorgängen überzeugt hatte. Also sprach ich am nächsten Morgen wieder vor. Wobei ich eigentlich nicht recht wusste, wieso ich meine Besuche fortsetzte, da ich nicht länger damit rechnete, seine Zustimmung zu erhalten. Ich hatte das Gefühl, ständig mit dem Kopf gegen eine Wand zu rennen. Es war der reine Schwachsinn. Nur Idioten und Verrückte hören nicht auf, sich gegen beständiges Scheitern aufzulehnen und sich beweisen zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt kam ich mir vor wie ein Idiot und Verrückter.“
Er lieferte seinen Bericht mit einem ironischen Unterton und einem schelmischen Glitzern in den Augen, und Kate bemerkte aus den Augenwinkeln Louisas Lächeln. Ned hatte schon immer die Gabe gehabt, eine Geschichte witzig und amüsant zu erzählen, um die Zuhörer in seinen Bann zu ziehen.
„Und weiter? Was geschah dann?“, fragte Louisa gespannt.
„Er sah mich nur schweigend an, sagte
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