Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)
dass der ganze »Rummel und Radau« der Eisenbahn sich nicht mit der Feierlichkeit einer Beerdigung vertrage. Widerstand kam auch vonwohlhabenden Bürgern, die die Vorstellung, ihre Verstorbenen zusammen mit denen der unteren Klassen zum Friedhof transportieren zu lassen, empörend fanden (denn es war vorgesehen, dass selbst die Ärmsten sich die Fahrt samt einem schlichten Begräbnis in Brookwood leisten können sollten, um ihnen so die Schmach einer Bestattung ihrer Angehörigen in einem Massengrab zu ersparen). Nachdem dem Bischof und den anderen Gegnern des Projekts zugesichert worden war, dass es eine erste, zweite und dritte Klasse für die Trauernden geben werde und auch die Särge getrennt voneinander transportiert würden und dass außerdem die unterschiedlichen Konfessionen voneinander getrennt gehalten würden, wurde die Brookwood-Nekropolis-Eisenbahn schließlich 1854 gebaut.
Zu dieser Zeit war Zugfahren noch etwas ganz Neues – die erste regelmäßige öffentliche Zugverbindung war erst 1830 eröffnet worden –, doch es erfreute sich rasch einer immensen Popularität. In den 1840er Jahren war die industrielle Revolution in Großbritannien in vollem Gange, und 1851 waren bereits um die 6800 Meilen Schienenstrang verlegt. 1863 wurde, nachdem zahlreiche Armenviertel in der Innenstadt niedergerissen worden waren, um Platz zu schaffen, die erste Untergrundbahn Londons eröffnet.
Das Buch
The Brookwood Necropolis Railway
von John M. Clarke erwies sich als unschätzbare Fundgrube für die Recherchen zu diesem Roman. Ich habe daraus allerlei grundlegende Informationen entnommen, etwa den Preis einer Einzelfahrkarte oder die Aufteilung nach Klassen, habe mir jedoch zu Zwecken der Handlungsführung einige Freiheiten erlaubt, etwa bei der Beschreibungder Zugwaggons (die zum Beispiel keine Korridore hatten). Der Nekropolis-Zug fuhr noch bis 1941 vom Bahnhof Waterloo in London nach Brookwood in Surrey, und auch heute finden dort noch Beerdigungen statt und werden regelmäßig Führungen über das wunderschöne Friedhofsgelände angeboten, manche auch speziell zum Thema Nekropolis-Bahn.
TOD UND TRAUER AUF VIKTORIANISCHE ART
Zahlreiche Friedhöfe in London waren seit dem Pestjahr 1665, als die Seuche in der Stadt wütete, überfüllt, und als Königin Viktoria den Thron bestieg, waren bereits viele von ihnen geschlossen worden. So mussten gezielt neue Friedhöfe angelegt werden. Der erste dieser geplanten Friedhöfe war Kensal Green Cemetery in der Nähe von Paddington. Als der Duke of Sussex, der Onkel Königin Viktorias, 1843 starb, hatte er in seinem Testament verfügt, dass er in Kensal Green mitten unter ganz gewöhnlichen Londoner Bürgern begraben werden wolle, was dem Friedhof eine enorme Beliebtheit verlieh. Dieser weitläufigen, parkartigen Begräbnisstätte folgten in raschem Tempo sechs weitere an den damaligen Rändern der Stadt, unter anderem Highgate Cemetery, der sich zum »angesagtesten« Bestattungsort Londons entwickelte. Highgate konnte mit Katakomben aufwarten (unterirdische Gänge mit Nischen, in denen Särge gelagert werden konnten) sowie einer »Ägyptischen Allee«, die zu dem eindrucksvollen »Circle of Lebanon« führt, einem Kreis aus Familienmausoleen rund um einen herrlichen alten Zedernbaum. An Sonntagen pflegten wohlhabende viktorianischeFamilien auf den Wegen und Lichtungen entlangzuspazieren und die Gräber ihrer Verstorbenen zu besuchen.
Regelrecht angefacht wurden Trauerriten und Trauerkult durch keine Geringere als Königin Viktoria selbst anlässlich des Todes ihres Gemahls Prinz Albert. Was die Königin und der Hochadel vormachten, wurde von der Schicht neureicher Industrieller und Kaufleute imitiert und verbreitete sich schließlich auch unter den ärmeren Bevölkerungsschichten. Sobald aber die Armen Trauer trugen, mussten die oberen Schichten ihre Anstrengungen verdoppeln, um ihre soziale Überlegenheit zu demonstrieren. So entwickelte sich im Lauf des 19. Jahrhunderts das Tragen von Schwarz zu einem solchen Kult, dass niemand sich ihm zu widersetzen wagte. Frauen aus der Oberschicht, die auf Reisen im Land unterwegs waren, führten immer eine Garnitur korrekter Trauerkleidung im Gepäck mit, für den Fall, dass sie bei einem gesellschaftlichen Anlass mit einem Trauer tragenden Mitglied der königlichen Familie zusammenträfen.
Lou Taylor führt in ihrem Buch
Mourning Dress
die Verbreitung von Trauerkleidern auch auf das Aufkommen von Modemagazinen zurück,
Weitere Kostenlose Bücher