Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)
in denen sich Einzelheiten zu den neuesten Stoffen und Accessoires ebenso wie Empfehlungen zur Traueretikette fanden. Beim Tod Prinz Alberts folgten die Oberschichtfamilien sklavisch den Vorgaben der Königin – vermutlich in der Hoffnung, selbst für Verwandte der königlichen Familie gehalten zu werden – und trugen wie sie zunächst Volltrauer, dann Halbtrauer und schließlich Vierteltrauer. Anlässlich eines so bedeutenden Todesfalls tauschte eine Dame der feinen Gesellschaft für ein ganzes Jahr ihre komplette Garderobeaus. Um die Verkäufe anzukurbeln, verbreiteten die Hersteller von Kreppstoffen und die Trauerbekleidungshäuser (es gab mindestens zwei große Kaufhäuser ausschließlich dafür in der Regent Street) das Gerücht, es bringe Unglück, Trauerkleidung nach der Trauerzeit bis zum nächsten Sterbefall im Haus zu behalten. Und die Vorschriften wurden immer noch komplizierter und weitreichender. In einer Zeitschrift aus dem Jahr 1881 heißt es zum Beispiel, dass eine zweite Ehefrau beim Tod der eltern der ersten Frau ihres Mannes drei Monate lang schwarze Seide zu tragen habe.
VIKTORIA UND ALBERT
Königin Viktoria bestieg im Jahr 1837 als Achtzehnjährige den Thron. Ihre Regentschaft folgte auf die Regency-Periode, in der die königliche Familie zunehmend unbeliebt geworden war. 1840 heiratete sie ihren Cousin Albert, Prinz von Sachsen-Coburg-Gotha, und obschon es eine stürmische Ehe war, war sie doch von echter Liebe getragen und brachte neun Kinder hervor. Ihre Verbindung genoss ein hohes Ansehen, und die Bürger des Kaiserreichs waren angehalten, diesem Ideal nachzueifern.
Manche britische Untertanen hatten allerdings auch Vorbehalte gegen Prinz Albert, erstens, da er aus dem Ausland stammte, und zweitens, da er und seine Familie großen Einfluss auf die Königin ausübten. Albert war anfangs dadurch eingeschränkt, dass er nur die Position des Prinzgemahls innehatte (die keine offiziellen Aufgaben vorsah), doch bald schon übernahm er die Führung des königlichen Haushalts und schaltete sich inmehrere öffentliche Angelegenheiten ein, unter anderem auch in die Bemühungen, die Lebensumstände der Armen zu verbessern. An der Organisation der 1. Weltausstellung in London von 1851 war er ebenfalls maßgeblich beteiligt. Die Briten behielten ein gewisses Misstrauen gegenüber Albert immer bei, betrauerten seinen Tod jedoch aufrichtig, als er im Dezember 1861 im Alter von 42 Jahren an Typhus starb.
Als Folge seines Todes und der Verlautbarung Königin Viktorias, die Nation möge eine angemessene Trauer zeigen, wurde London von einer Flut von Schwarz überschwemmt: Aus Respekt für den Prinzgemahl bemühte sich selbst der einfache Mann auf der Straße, dem Wunsch der Königin nachzukommen, und versuchte, so er es sich irgendwie leisten konnte, sich und seine Familie für mindestens einige Monate mit angemessener Trauerkleidung auszustatten. Angeblich sollen sogar die Geländer in London, ursprünglich grün gestrichen, zu Ehren Alberts schwarz lackiert worden sein. Inzwischen ist man sich einig, dass Königin Viktoria mit ihrer Trauer zu weit ging. Sie war so niedergeschmettert von Alberts frühem Tod, dass sie sich praktisch aus dem öffentlichen Leben zurückzog, der Hauptstadt London fernblieb und den Rest ihres Lebens Trauerkleidung trug. Dadurch verspielte sie sich die Zuneigung ihrer Untertanen, die sich von ihrer Königin vernachlässigt fühlten.
Viktoria regierte 63 Jahre lang – länger als irgendein anderer britischer Monarch vor ihr –, bis zu ihrem Tod im Jahr 1901. Es gelang ihr, den Respekt der Nation vor der Monarchie wiederherzustellen und selbst zu einem Symbol für den Geist und die Identität der Nation zu werden. Sie bemühte sich auch darum, die Lebensbedingungen derArmen zu verbessern, etwa durch die Einführung einer allgemeinen Schulpflicht und einer Begrenzung der Arbeitszeiten auf zehn Stunden pro Tag.
DIE ARMEN ZU ZEITEN VIKTORIAS
Der Journalist Henry Mayhew interviewte seinerzeit Hunderte von gewöhnlichen Londonern und veröffentlichte die Interviews 1851 im ersten Band seines Werks
London Labour and the London Poor
. Darin lässt sich in Einzelheiten und aus erster Hand nachlesen, wie das Leben auf den Straßen Londons für jene aussah, die am untersten Ende des gesellschaftlichen Spektrums angesiedelt waren.
Um ihr Überleben zu sichern, versuchten die Armen auf unzählige Arten, Geld zu verdienen. Dazu zählte zum Beispiel auch die Praxis,
Weitere Kostenlose Bücher