Gehwegschäden
bis 24. April in Berlin.« Das schreibt Elvira. Sie sitzt an ihrem Laptop am Fenster und sieht hinaus in den Innenhof.
Dort steht eine einzelne Kastanie, sie treibt schon aus, schnell geht das jetzt, bald wird sie in roter Blüte stehen. Für die Bäume war sie schon immer, dafür kämpft sie. Elvira. Schauspielerin, Charakter, Film, Theater, Straße. Model, Umweltaktivistin und Lesungen, Allah schützt vor Sonnenbrand – ein Themennachmittag über seelische Erlebnisse muslimischer Frauen. Die Wohnungen sind klein in diesem Seitenflügel. Nicht so ausladend wie die im Vorderhaus und ein Zimmer weniger. Der Baum schlägt aus. Für die Bäume, gegen den Beton, war sie immer. Hunderte Anwohner haben damals am Landwehrkanal in einer Menschenkette mit ihr demonstriert. Elvira schreibt. Das tut sie ehrenamtlich. Hauptberuflich Hartz IV. Dazu vermietet sie. Ihr Schlafzimmer. Schönes Studio, 20 m², Küche, Bad, in bester Lage in Mitte. An Touristen. Dazu gibt sie Feldenkrais, 50 Euro die Stunde. Elvira schreibt. Faxe, die sie an Journalisten verschickt. An Aktivisten. An Freunde, an alle. Die Kastanie im Hof schlägt aus, Scheiß-Touristen. Kotzen sie an. Bald wird sie eine neue Aktion starten. Wie die Baumaktion. Eine elegante Aktivistin ist sie, hat die Zeitung geschrieben, damals. Sie trug ein schmales Tuch um den Hals, sie hat sich vom Grünflächenamt ein Foto schicken lassen. Darauf ist ein Baum zu sehen, grausam von zwei Metallstangen gestützt. Ein Foto wie eine Kreuzigung. Das Foto klebte auf allen Info-Tischen der Bürgerinitiative. Was es sagen sollte, ist klar. Feengleich war sie. Auch das hat die Zeitung geschrieben. Wie sie da so symbolisch die Menschenkette gegen die Fällungen am Landwehrkanal anführte, 17 Bäume, und sich dann symbolisch auszog am Baum, feengleich, und anlehnte an den Stamm, der Schal flatterte im Wind, als wolle sie die Schändung auf ihre Art, ihre unvergleichlich wehrlose Art so symbolisch über sich ergehen lassen. Sie hat einen politischen Auftrag zu erfüllen. Ist sie nicht ausgezeichnet worden für die Baumaktion beim Wettbewerb FrauenLebenVielfalt in einer feierlichen Preisverleihung im Bundesumweltministerium durch die Parlamentarische Staatssekretärin und Biodiversitätsexpertin und Schirmfrau? Leider wurde der 1. Preis in der Kategorie Erwachsene gleich zweimal an andere vergeben. Für eine Dokumentation über kulturelle Vielfalt in Kreuzberg und diese dummen Unkräuter-Fotos. Biologische Vielfalt hieß das. Vielfalt. Wo doch die Bäume gefällt werden, wo gibt’s da Vielfalt? Sieht frau’s mal wieder. Die Feenaktion war ihnen nur den 2. Preis wert. Ist ja auch mit einem Bauunternehmer verheiratet, die Schirmschlampe. Warum sind Sie Schauspielerin geworden, hat eine Zeitung sie gefragt. Weil ich einen politischen Auftrag zu erfüllen habe. Und den erfüll ich auch. Elvira schreibt:
»120 TeilnehmerInnen aus Wissenschaft, Gewerkschaften, Frauen-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen – unter ihnen Frauen aus Bolivien, Kuba, El Salvador, Mexiko, Peru, Kolumbien und Uruguay – diskutierten kritisch die Auswirkungen von Privatisierung, Verschmutzung und Verschwendung von Wasser auf die Lebensbedingungen von Frauen.« Das schreibt Elvira. Sie geht ans Fax. Elvira wählt eine Nummer. Das Gerät zieht die erste Seite ein.
Seitenflügel, 3. Etage rechts: Jesper. Wo ist bloß das Set-Walkie-Talkie? Er wird das brauchen, ab morgen. Jesper hört eine Abfolge unterschiedlicher Töne, als drücke jemand die Wiederholungstaste eines Handys, Hundstage, gefolgt von einem Brummen. Außendreh ab sieben bis einundzwanzig Uhr, Hundstage werden das, Tage, an denen das Licht nie ausgeht. Irgendwo pfeift ein Teekessel. Jesper ist sein richtiger Vorname. Das Set-Walkie-Talkie liegt neben der Nachttischlampe. Und der Drehplan? Der Name stammt aus dem Norwegischen, der Mann kommt aus Bremen. Den Nachnamen hat er sich selbst gegeben. Jens. Der ist besser als Stockhammer. Jesper Jens. Der Name wird ihn weiterbringen. Wie lange macht der das schon? Der Drehplan liegt auf dem Schreibtisch unter einer Zeitung. Drei Jahre? Vier?
Morgen: Verena versucht, Leon eifersüchtig zu machen. Mittag: Verena will Leon zeigen, dass sie mehr als nur ein Betthäschen ist. Nachmittag: Verena will Leon mit allen Mitteln zum Auszug bewegen. Nachmittag: Verena kann ihre wahren Gefühle für Leon kaum noch verbergen. Abend: Verena wird schmerzlich bewusst, dass sie mit Leon nicht mehr als eine Affäre
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