Geier (German Edition)
1 Strandlauf
Die Füße brannten wie Feuer, aber ich joggte verbissen weiter und keuchte dabei wie der Erzeuger, an den ich mich nur ungern erinnere. Gerade war die Sonne im Pazifik versunken, ihre letzten, senkrechten Strahlen färbten den schmalen Wolkenstreifen über den Inseln dunkelrot. Der Sand war noch warm. Das Bier von vorhin schwabbelte im Magen. Vielleicht sollte ich nicht so viel saufen.
Fast wäre ich über ihn gestolpert. Er lag Arsch voran am Rand des Meeres, und zuerst hielt ich ihn für einen toten Seelöwen. Die werden an diesem Küstenabschnitt öfter von der Flut ausgekotzt, aber meist stinken sie dann schon gottsjämmerlich. Dieser war noch nicht ranzig.
Ich beugte mich runter und sah, dass es ein Kerl war. Einer in meinem Alter, vielleicht etwas älter. Dick war er, aufgedunsen und bleich das halbe Gesicht, mit straffem Hamsterbäckchen. Er hatte einen breiten, bei diesem miesen Licht tiefschwarzen Seehundschnauzer, dazu passend einen dichten Naturpullover. Der Haarkranz klebte am Schädel.
Er streckte dem Himmel seine linke Ohrmuschel entgegen, die ihm jemand aufgebohrt hatte. Kein Blut, aber ein ordentliches Loch, das auditive Feinheiten wie Windungen und Trommelfelle überflüssig gemacht hatte. Er musste gerade angespült worden sein. Mausetot. Das sah selbst ich. Dem war nicht mehr zu helfen.
Kein Schwanz war am Strand, keiner, den ich hätte rufen können. Ich wollte ihn nicht unbedingt wegziehen – erstens ist Anfassen nicht mein Ding, und zweitens wären vielleicht die Cops sauer.
Also griff ich mit spitzen Ekelfingern in seine beiden hinteren Jeanstaschen und suchte irgendwas mit seinem Namen drauf. Nix. Ich setzte meine rechte Ledersandale auf seinen fetten Hintern und drückte. Er rollte wie eine schlabbrige Gliederpuppe auf die Seite.
Die rechte Hosentasche schien im schwachen Licht leicht ausgebeult. Ich hielt sie auf und popelte. Fies, der kalte Oberschenkel. Mich würgte; das Bier wollte hoch. Ich schluckte und griff entschlossen hinein.
Ein klebriges, glitschiges, glattes Etwas steckte da. Mit gespreizten Zeige- und Mittelfingern zog ich einen Klumpen aus der Tasche. Ein Notizbuch? Ich schob es in meinen Buttpack und trabte nach Hause. Ich Idiot.
Wenn ich nicht so eine dämliche Neigung zum Schnüffeln hätte, könnte ich noch heute mein unbekümmertes Surferleben führen. Aber jetzt ist es zu spät. Jetzt hilft kein Jammern mehr. Na ja.
Jedenfalls komme ich in meine Bude, knipse das Küchenlicht an und klappe den Tisch aus der Wand. Dann breite ich die Sportbeilage der heutigen Zeitung aus, streiche sie schön glatt und angele das Buch aus meinem Umschnalltäschchen. Dunkelblauer Plastikeinband, handtellergroß, so ein billiges Telefon- und Adressbüchlein, wie man es vom Metzger zu Weihnachten bekommt.
Das Ding war eine verklebte Masse – die Seiten ließen sich nichtmal vorsichtig auseinanderpulen. Der ganze Klumpen war für den Arsch – der gab nichts mehr her. Bis auf die letzte Seite. Da hatte der Einband ein Plastikeselsohr, und auf dem Papiermatsch waren Zahlen zu sehen, die ersten drei eingeklammert. Eindeutig eine Vorwahl.
Ich zog den Plastikeinband sehr vorsichtig an seinem Knick zurück, und eine Telefonnummer wurde sichtbar. Gerade noch. Ich konnte nicht genau ausmachen, ob die letzte Zahl nun ein Dreier oder eine Acht war, aber sonst war die Nummer lesbar.
Ich tippte beide Varianten mit vielen Fragezeichen in mein Computeradressbuch und holte mir erst mal ein frisches Bier aus dem Kühlschrank. Dann rief ich die Bullen an.
Gegen Mitternacht war ich gut voll. Der Schreck saß mir noch immer in den Knochen. Man stolpert schließlich nicht dauernd über einen Toten. Ich hatte die letzte Büchse Bier getrunken. Leider. Aber ich wollte nicht unbedingt noch mal raus und zum Laden fahren. Die Cops waren draußen noch immer aktiv, und jetzt noch herumfahren würde bei denen sicher auf gerunzelte Brauen und gezückte Handschellen stoßen.
Sie waren recht schnell gekommen, nachdem ich angerufen und gemeldet hatte was am Strand lag. Allerdings habe ich denen nichts vom Adressbuch erzählt, und auch nicht, dass ich die Nummer angerufen hatte. War mir irgendwie peinlich. Außerdem war die Telefonnummer unwichtig, denn es meldete sich ein Anrufbeantworter, der irgendwas vom Menü erzählte und dass man die andere Nummer anrufen soll, um die dringend empfohlene Reservierung zu machen. Die Nummer, die mit einer Drei endete, war gar nicht
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