Geisterfjord. Island-Thriller
Kinn, um Líf, die sich aufgesetzt hatte, genauer zu mustern. Ihr weißer Anorak war auffällig und zugleich ein Symbol dafür, wie schlecht die drei Städter in diese Umgebung passten. »Na also, sie sieht ja schon viel besser aus.« Der Mann konnte sie nicht ermutigen – falls das seine Absicht gewesen war –, und Katrín überlegte, wie sie auf ihn wirken mussten: ein Pärchen aus Reykjavík, eine Lehrerin und ein Volkswirt, Anfang dreißig, beide nicht besonders kräftig, ganz zu schweigen von dem dritten Rad am Wagen, das kaum den Kopf hochhalten konnte. »Wird bestimmt gutlaufen.« Die raue Stimme des Kapitäns klang nicht so überzeugend, wie seine Worte gemeint waren. »Aber Sie sollten nicht länger rumtrödeln und die Sachen ins Haus tragen, es wird bald dunkel.«
Eine dicke, zerzauste Haarsträhne wehte vor Katríns Augen. In der Hektik, alles einzupacken, was auf der Liste mit Lebensmitteln und Baumaterialien stand, hatte sie ganz vergessen, ein Haargummi mitzunehmen. Líf hatte auch nur eins dabei und musste es auf der Überfahrt benutzen, um sich beim Kotzen die Haare aus dem Gesicht zu binden. Katrín versuchte, die Haarsträhne mit den Fingern zurückzukämmen, aber der Wind zerzauste sie sofort wieder. Garðars Haare sahen nicht viel besser aus, waren aber viel kürzer als ihre. Ihren Wanderschuhen konnte man ansehen, dass sie speziell für diese Reise gekauft worden waren, und obwohl ihre Regenhosen und Anoraks nicht nagelneu waren, sahen sie so aus. Sie hatten die Sachen von Garðars Geschwistern zur Hochzeit geschenkt bekommen und erst jetzt die Gelegenheit, sie anzuziehen. Líf hatte ihren weißen Skianzug für einen Skiurlaub in Italien gekauft – ein Bademantel wäre für diese Umgebung genauso unpassend gewesen. Lífs, Katríns und Garðars helle Haut zeugte davon, dass sie keine großen Outdoorfans waren. Sie waren zwar nach intensivem Training in den vier Wänden eines Fitnessstudios alle gut in Form, aber Katrín hatte den Verdacht, dass ihnen das hier nicht viel nützte.
»Wissen Sie, ob sonst noch jemand diese Woche herkommt?«, fragte Katrín hoffnungsvoll. Dann hätten sie wenigstens, wenn alles den Bach runterging, eine Rückfahrgelegenheit.
Der Kapitän schüttelte den Kopf. »Sie wissen nicht viel über diesen Ort, oder?« Während der Überfahrt hatten sie sich wegen des lauten Motors nicht viel unterhalten können.
»Nein, eigentlich nicht.«
»Es kommen nur im Sommer Leute her, im Winter gibt es hier ja nichts zu tun. In einem der Häuser ist über Silvester jemand, und ein paar Eigentümer schauen mal kurz vorbei, ob alles in Ordnung ist, aber sonst ist hier in den Wintermonaten kein Mensch.« Der Kapitän verstummte und blickte zu dem Teil der Ortschaft, der vom Boot aus zu sehen war. »Welches Haus haben Sie eigentlich gekauft?«
»Es steht ganz am Rand. Ich glaube, es war das Pfarrhaus«, sagte Garðar stolz. »Im Dunkeln kann man es von hier aus nicht sehen, aber eigentlich ist es sehr auffällig.«
»Was? Sind Sie sicher?«, fragte der Kapitän verwundert. »Im Dorf gab es gar keinen Pfarrer. Die Kirche wurde von Aðalvík aus unterhalten, solange sie hier war. Da hat Ihnen wohl jemand was Falsches erzählt.«
Garðar zögerte, und Katrín hatte den Funken einer Hoffnung, dass das alles ein Missverständnis wäre, dass sie gar kein Haus gekauft hätten und deshalb sofort wieder umkehren könnten. »Nein, ich habe es mir angeschaut, es ist eindeutig ein Pfarrhaus. In die Haustür ist ein sehr schönes Kreuz geschnitzt.«
Dem Kapitän schien es schwerzufallen, Garðar zu glauben. »Wer ist denn der Miteigentümer?« Er runzelte die Stirn, so als verdächtige er Garðar, sich das Haus auf illegale Weise angeeignet zu haben.
»Niemand«, antwortete Garðar mürrisch. »Wir haben das Haus aus dem Nachlass eines Mannes gekauft, der verstorben ist, bevor er es fertig renovieren konnte.«
Der Kapitän zog an dem Seil und sprang dann zu ihnen auf den Steg. »Ich glaube, ich komme besser mal mit. Ich kenne alle Häuser im Dorf, die meisten sind im Besitz von Eigentümergemeinschaften, oft Geschwister oder Nachkommen der ehemaligen Bewohner. Ich kann mich an keins erinnern, dass einer Einzelperson gehört hat.« Er wischte sich die Hände an der Hose ab. »Ich kann Sie hier nur alleine lassen, wenn ich weiß, dass Sie ein Dach über dem Kopf haben und dass das kein dummes Missverständnis ist.« Er marschierte über den Steg. »Zeigen Sie mir das Haus oben vom Strand
Weitere Kostenlose Bücher