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Geisterfjord. Island-Thriller

Geisterfjord. Island-Thriller

Titel: Geisterfjord. Island-Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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immer, wenn er ratlos war. »Natürlich fällt mir dazu einiges ein, aber das ist alles nicht besonders vernünftig.«
    »Zum Beispiel?« Ihre Stimme war völlig teilnahmslos, wie bei einer gelangweilten Bedienung in der Bäckerei, die fragte, ob sie das Brot schneiden solle.
    »Tja, schmutzige Wäsche, schmutziges Geld, schmutzige Geschäfte, schmutzige Gedanken. So was in der Art, aber ich sehe nicht, was das mit dem Vandalismus zu tun haben könnte.«
    Dagný verzog keine Miene. Sie nahm die Kamera wieder hoch und drückte ab. Danach betrachtete sie ewig den kleinen Bildschirm, um sich zu vergewissern, dass das Foto gelungen war. Freyr hatte den Eindruck, dass sie die Kamera nur benutzte, um sich dahinter zu verstecken. »Ich dachte, Psychiater lernen so was. Müsst ihr nicht wissen, welche Beweggründe jemand hat, wenn er in emotionaler Erregung etwas schreibt?«
    »Doch, aber meistens haben wir mehr Anhaltspunkte als nur ein einziges Wort. Vielleicht habe ich ja auch geschwänzt, als Einbrüche in Kindergärten mit Vandalismus und geheimnisvollen Botschaften an den Wänden durchgenommen wurden.« Als Freyr den Satz ausgesprochen hatte, bereute er ihn schon wieder. Warum ärgerte ihn ihre sachliche Art so sehr? »Ihr solltet versuchen, den Täter nach euren üblichen Methoden zu finden, und wenn ihr ihn habt, rede ich mit ihm und beurteile seine Motivation. Im Augenblick kann ich nicht viel dazu sagen.« Im Grunde wusste er gar nicht, warum sie ihn angerufen hatte; zu seinem Job im Bezirkskrankenhaus in Ísafjörður gehörte keine Beratung der Polizei, und sie verhielt sich nicht so, als hätte sie damit gerechnet, dass seine Einschätzung einen Wendepunkt in den Ermittlungen einläuten würde. »Es sei denn, ihr möchtet, dass ich ähnliche Vorfälle an anderen Orten untersuche und daraus meine Schlüsse ziehe. Ich weiß nicht, ob das nützlich wäre.«
    »Nein, nein.« Dagnýs Stimme klang unbeirrt und schroff, wurde aber weicher, als sie hinzufügte: »Danke, aber das ist nicht nötig.«
    Der Klang von Kinderstimmen drang durchs Fenster. Unter normalen Umständen wären sie jetzt drinnen gewesen und hätten gespielt oder weitere Bilder gemalt, um den Raum zu schmücken, aber an diesem Morgen war alles anders. Die Kindergärtnerin, die als Erste eingetroffen war, hatte einen Schock erlitten. Sie hatte sofort die Polizei angerufen und den Einbruch gemeldet. Dagný war mit einem älteren Kollegen zum Tatort gefahren. Freyr vermutete, dass sie schon früh auf der Wache gewesen und deshalb losgeschickt worden war. Die Morgenschicht fing erst um acht Uhr an, aber Dagný war normalerweise schon um sechs Uhr wach, unabhängig davon, ob sie Schicht hatte oder nicht. An den Tagen, an denen sie arbeiten musste, ging sie schon um sieben aus dem Haus, weil sie nicht die Ruhe hatte, länger zu Hause zu sitzen. Das wusste er nur, weil sie im Haus gegenüber wohnte – und weil seine Morgenroutine genauso ablief. Was das betraf, waren sie sich nämlich verdammt ähnlich, sie saßen beide nicht gerne tatenlos rum. Das gefiel ihm – in den wenigen Beziehungen, die er gehabt hatte, wollten die Frauen morgens immer so lange wie möglich liegen bleiben und kuscheln und hatten kein Verständnis für sein Bedürfnis, direkt nach dem Aufwachen aus dem Bett zu springen, am besten noch bevor die Zeitung durch den Briefschlitz fiel. Eine Beziehung, bei der die Frau ihm in der Küche Gesellschaft leistete, während es draußen noch still und dunkel war und alle anderen schliefen, konnte er sich gut vorstellen. Andere Ansprüche an eine Partnerin hatte er nicht, dafür war seine Trennung noch zu frisch. Er wusste nicht, ob seine Erinnerungen an den Beginn dieser Beziehung eine realistische Vorstellung dessen waren, was er wollte, oder ob er sie in rosarotem Licht sah. Eigentlich kannte er die Antwort, wollte sie aber nicht wahrhaben.
    Freyr trat ans Fenster und sah zunächst nur sein eigenes Spiegelbild in der Scheibe. Er wirkte jünger, als er eigentlich war, weil er sich fit gehalten und die zusätzlichen Pfunde, mit denen sich seine Studienfreunde herumärgerten, vermieden hatte. Im Grunde war das nur gerecht, da er während des Studiums nicht so große Chancen bei Frauen gehabt hatte wie die anderen. Zum Glück schienen die Frauen seine heutigen Gesichtszüge und seine Statur zu schätzen. Wenn er daran dachte, wie es gewesen war, sich jedes Mal räuspern zu müssen, um die Aufmerksamkeit einer attraktiven Frau auf sich zu lenken,

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