Geisterfjord. Island-Thriller
lang freien Lauf ließ, wäre es durchaus vorstellbar, dass der Einbruch mit den drei Leuten aus Reykjavík zusammenhing, die in das Haus in Hesteyri gekommen waren, aber es hatte keinen Sinn, sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Wahrscheinlich würde man das nie herausfinden. Genauso wenig wie die Antwort auf die Frage, ob Bernódus gewollt hatte, dass Benni gefunden würde, damit dann auch seine eigenen Knochen entdeckt würden und er seinen lang ersehnten Frieden fände. So gesehen, war das ein glückliches Ende einer schrecklichen Tragödie. Bis auf Úrsúla waren alle, die Bernódus gequält hatten, verstorben, und es gab nichts, was den Jungen noch hielt. Freyr hoffte zumindest, dass das Grauen nun zu Ende war.
»Ich bin müde«, sagte Úrsúla und schloss die Augen. »Ich glaube, ich werde gut schlafen.«
Sie drehte ihren Kopf auf dem Kissen von Freyr weg. »Das wird ungewohnt sein.«
Wie so vieles. Freyr verabschiedete sich und verließ den Raum. Er war zu müde, traurig und nachdenklich, um das leise Kichern zu bemerken, das aus Úrsúlas Zimmer drang, nachdem er die Tür hinter sich zugezogen hatte.
Als Freyr vom Altenheim wegfuhr, öffnete er das Fenster weit, um die kalte, frische Winterluft einatmen zu können. Er wusste, dass das Boot, das Benni nach Hause brachte, bald eintreffen würde, und wollte rechtzeitig an der Brücke sein. Vielleicht musste er im Auto sitzen und warten, aber das war in Ordnung, im Augenblick gab es nichts Wichtigeres. Er fuhr zum Hafen und stellte den Sitz zurück, damit er bequem warten konnte. Dann spähte er über den Fjord und hoffte, dass der schwarze Punkt ganz hinten am Horizont das Boot war, auch wenn es ihm die endgültige Bestätigung brachte, dass es keine Hoffnung mehr gab. Wenn alle Formalitäten erledigt waren, hatte er nicht mehr viel zu tun. Arbeiten, essen und schlafen und sich vielleicht um den Hund kümmern, der niemandem gehörte und Patti oder Hvutti hieß – zumindest hörte er auf beide Namen.
Vielleicht würde er sich länger frei nehmen, unbezahlten Urlaub machen und sich irgendwo in der Einsamkeit niederlassen, weit weg von Menschen und Zivilisation. Er dachte an das Haus, das die Ertrinkenden in Hesteyri vor Augen gehabt hatten. Vielleicht war es billig zu erwerben. Die Besitzer waren entweder tot oder verschollen, und dann hätte er etwas, worum er sich kümmern müsste, könnte versuchen, es in einen vernünftigen Zustand zu bringen und dadurch vielleicht sicherstellen, dass die negativen Schwingungen aus dem Haus verschwanden.
Freyr beobachtete, wie das Boot näher kam. Das Meer war entgegen allen Erwartungen und Benni zu Ehren spiegelglatt. Tränen rannen über seine Wangen. Dabei schien der schlimmste Schmerz aus seiner Seele zu weichen, und er fühlte sich etwas besser. Er nahm sich vor, die Sache mit dem Haus anzugehen. Er könnte den Hund mitnehmen und sogar Dagný einladen mitzukommen, oder die Krankenschwester, die Líf ähnelte – wenn auch nur äußerlich. Vielleicht würde Sara irgendwann den Ort sehen wollen und sich mit ihm und dem Leben versöhnen. Als er ihr die Neuigkeiten mitgeteilt hatte, hatte ihr Weinen echt geklungen, endlich hatte ein heilender Trauerprozess eingesetzt. Auch wenn sie nie wieder ein Paar werden würden, könnten sie vielleicht irgendwann Freunde sein, und natürlich war ein so friedlicher Ort wie Hesteyri perfekt, um über das Leben nachzudenken, besonders über das Gute, das es ihnen trotz allem beschert hatte. Sie hatten schöne, wehmütige Erinnerungen an Benni, die ihnen niemand nehmen konnte und die sie gemeinsam in aller Ruhe aufleben lassen konnten, während sie sich stritten und alte Uneinigkeiten aus dem Weg räumten. Das würde ihnen jedenfalls beiden guttun.
Freyr nahm sich vor, das Haus zu kaufen und instand zu setzen.
Katrín sah, wie die Wellen das Boot aus dem Fjord schaukelten, während sie am Strandrücken stand, ohne bemerkt zu werden. Sie fühlte sich ganz seltsam, wie betrunken, aber nicht sturztrunken, nur unbeschwert, und alles war so klar. Aus ihren Kleidern tropfte Wasser auf die schneeweiße Erde, und ihr Weg führte sie am Arzthaus vorbei, über die Brücke zum Haus, zu ihrem Haus. Es raschelte und knackte in dem trockenen, vergilbten Gebüsch hinter ihr, aber sie ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Jetzt gab es nichts Wichtigeres mehr als die Wut, die in ihrem Inneren brodelte. Doch das war gut so. Sie war nach Hause gekommen, und nichts würde ihren
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