Gejagt
Augen.
Sie konnte kein Glied rühren. Sie starrte ihn an und er sie. Die Augen in dem Vogelgesicht weiteten sich überrascht und sahen plötzlich unwahrscheinlich menschlich aus. Sein Blick flitzte nach allen Seiten und hinter sie – er schien sich zu vergewissern, ob sie allein war. Automatisch duckte sich Stevie Rae, hob abwehrend die Hände und sammelte sich, um die Erde zu Hilfe zu rufen.
Da hörte sie seine leise gesprochenen Worte.
»Töte mich.« Er keuchte vor Schmerz. »Bring es zu Ende.«
Seine Stimme klang so menschlich, so völlig unerwartet, dass Stevie Rae die Hände sinken ließ und einen Schritt zurücktaumelte. »Du kannst reden!«, entfuhr es ihr.
Da tat der Rabenspötter etwas, was sie zutiefst erschütterte und den Lauf ihres Lebens unwiderruflich änderte.
Er lachte.
Es war ein trockener, sarkastischer Laut, der in einem Aufstöhnen des Schmerzes endete. Aber es war Lachen, und es verlieh seinen Worten Menschlichkeit.
»Ja«, sagte er und rang nach Luft. »Ich kann reden. Bluten. Sterben. Töte mich. Mach’s kurz.« Er versuchte sich aufzusetzen, als könnte er seinen Tod kaum erwarten, und die Bewegung ließ ihn vor Qual aufschreien. Seine viel zu menschlichen Augen drehten sich nach oben, und er brach bewusstlos auf dem vereisten Boden zusammen.
Stevie Rae handelte, bevor sie überhaupt merkte, dass sie sich dafür entschieden hatte. Bei ihm angekommen, zögerte sie nur eine Sekunde. Er war mit dem Gesicht nach unten niedergesunken, und es war ein Leichtes für sie, seine Flügel beiseitezuschieben und ihn unter den Armen zu packen. Er war verdammt groß – also, ungefähr so wie ein kräftiger Mann, und sie machte sich darauf gefasst, dass er schwer sein würde, aber das war er nicht. Tatsächlich war er so leicht, dass es ein Kinderspiel war, ihn wegzuschleifen. Was sie zu ihrem eigenen Erstaunen auch tat, während ihr Gewissen in ihr zeterte:
Was soll denn das? Hast du sie noch alle? Was soll das?
Was bei allen guten Geistern tat sie da?
Sie wusste es nicht. Alles, was sie wusste, war, was sie
nicht
tun würde.
Sie würde den Rabenspötter nicht töten.
Zoey
» W ird er wieder gesund?« Ich bemühte mich zu flüstern, um Stark nicht zu wecken. Offensichtlich erfolglos, denn seine geschlossenen Augenlider flatterten, und seine Lippen verzogen sich kaum merklich zu einem schmerzverzerrten Schatten seines flegelhaften halben Grinsens.
»Ich bin noch nicht tot«, sagte er.
»Und ich hab nicht mit dir geredet«, sagte ich viel verärgerter, als ich wollte.
»Nicht so aufbrausend,
u-we-tsi a-ge-hu-tsa
«, ermahnte mich Grandma sanft, während Schwester Mary Angela, die Priorin des Benediktinerinnenklosters, ihr in das kleine Krankenzimmer half.
»Grandma! Da bist du ja!« Ich eilte hin und half ihr gemeinsam mit Schwester Mary Angela zu einem Stuhl.
»Sie macht sich nur Sorgen um mich.« Stark hatte die Augen wieder geschlossen, aber auf seinen Lippen spielte noch immer die Spur eines Lächelns.
»Das weiß ich,
tsi-ta-ga-a-s-ha-ya
. Aber Zoey ist eine Hohepriesterin in Ausbildung und muss lernen, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten.«
Tsi-ta-ga-a-s-ha-ya! Wenn Grandma nicht so bleich und zerbrechlich ausgesehen hätte und ich nicht, na ja, nicht generell so besorgt gewesen wäre, hätte ich laut losgelacht.
»Sorry, Grandma. Ich sollte mich besser beherrschen, aber das ist nicht so einfach, wenn die Leute, die ich mag, ständig fast sterben!«, erklärte ich eilig und musste um Atem ringen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. »Und solltest du nicht im Bett sein?«
»Bald,
u-we-tsi a-ge-hu-tsa
, bald.«
»Was heißt denn
tsi-ta-ga-s
-was-auch-immer?« Stark bekam gerade von Darius eine dicke Salbe auf seine Brandwunde geschmiert, deshalb klang er etwas angestrengt vor Schmerz, aber trotzdem erheitert und neugierig.
»Tsi-ta-ga-a-s-ha-ya«
, sprach Grandma das Wort sorgfältig richtig aus, »bedeutet Gockel.«
Seine Augen glommen belustigt auf. »Es wird behauptet, Sie seien eine weise Frau.«
»Was weit weniger von Interesse ist als das, was man von dir behauptet,
tsi-ta-ga-a-s-ha-ya
.«
Stark lachte bellend auf und sog dann vor Schmerz die Luft ein. »Stillhalten!«, knurrte Darius.
»Schwester, ich dachte, bei euch Nonnen wäre auch eine Ärztin.« Ich versuchte mir meine Panik nicht anmerken zu lassen.
»Ein menschlicher Arzt kann ihm nicht helfen«, sagte Darius, bevor Schwester Mary Angela antworten konnte. »Er benötigt Ruhe und Erholung
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