Gekapert
Arafat, aber keine Peitsche tragen –, hört die beiden Englisch reden und sein Interesse ist geweckt. Mit der Selbstsicherheit der Mächtigen geht er auf die beiden zu und streckt Jeebleh die Hand entgegen. »Ihren Paß, bitte.«
Verschwörerisch murmelnd erkundigt sich Malik, wer der Mann denn sei. Statt zu antworten, händigt Jeebleh seinen Paß aus und dreht sich dann zu Malik um, gibt ihm zu verstehen, daß er seinen ebenfalls aushändigen solle. Eingehend betrachtet der Mann die Pässe, einen nach dem anderen. Als er alle Informationen aufgenommen hat, gibt er sie zurück und winkt die beiden Männer höflich zur Grenzkontrolle weiter. Jeeblehs somalischer siebter Sinn warnt ihn vor Schwierigkeiten, wenn er auch noch nicht weiß, worin diese bestehen werden. Er hütet sich, Malik seine Befürchtungen mitzuteilen.
Das Flughafengebäude ist auf der zur Start- und Landebahn und zum Meer gewandten Seite offen, die Seite, auf der sich die Ausgänge befinden, ist geschlossen. Erst vor einigen Monaten hat der Flughafen wieder seinen Betrieb aufgenommen, zum ersten Mal seit Beginn des Bürgerkriegs vor sechzehn Jahren. Die Reparaturen in der Halle sind noch nicht vollständig abgeschlossen, ebenso die Arbeiten in den Gängen; kreuz und quer stehen Gerüste herum, behindern die Passagiere. Ein in der Mitte der Halle gespanntes Seil trennt Ankömmlinge und Abreisende. In einer Ecke des Abflugbereichs sind etwa fünfzig billige weiße Plastikstühle zusammengeschoben, mutmaßlich für Passagiere, die darauf warten, ihr Flugzeug zu besteigen. Im Ankunftsbereich formiert sich eine unordentliche Schlange aus drängelnden Passagieren, die schnell die Zollformalitäten hinter sich bringen wollen. Ohne Gepäckbänder oder Gepäckwagen, ohne ausgebildetes Personal für die Grenzkontrolle ist kaum abzuschätzen, wie sich die Dinge entwickeln werden, was diese bärtigen Männer in ihren langen Gewändern tun oder nicht tun werden.
Jeebleh und Malik bilden ihre eigene Schlange; offensichtlich sind sie die einzigen Ankömmlinge, die keinen somalischen Paß haben. Auch die Gründe für ihre Reise verbinden sie. Malik, der freie Journalist, möchte über die Stadt schreiben, die sich unter der Herrschaft der Union islamischer Gerichte auf den Krieg vorbereitet. Er hat eine Vereinbarung mit einer amerikanischen Tageszeitung getroffen, die ihn verpflichtet, jeden seiner Artikel zuerst ihr anzubieten. Im Gegenzug hat ihm die Zeitung einen kleinen Vorschuß gewährt, mit dem er das Flugticket nach Somalia bezahlt hat. Er ist sich der Gefahren einer Reise durch dieses Land bewußt, weiß aber auch, daß seine Anwesenheit Jeebleh freut und dessen Frau beruhigt. Jeebleh seinerseits möchte Maliks Vorhaben unterstützen, indem er ihm seinen besten Freund Bile vorstellt. Jeebleh und Bile wuchsen im selben Haushalt auf, teilten sich gewissermaßen die Mütter. Später besuchten sie gemeinsam die Universität von Padua, Bile, um sein Medizinstudium abzuschließen, Jeebleh, um seine Doktorarbeit über Dante zu schreiben. Sie waren als Regimekritiker sogar gemeinsam im Gefängnis, saßen in benachbarten Einzelzellen. Jetzt allerdings leben sie Tausende Meilen voneinander entfernt, und Jeebleh hat gehört, daß es Bile gesundheitlich schlechtgeht. Er kann es kaum erwarten, seinen alten Freund und dessen Gefährtin Cambara wiederzusehen, die darauf bestanden hat, daß er und Malik in Mogadischu ihre Gäste sind. Es gibt auch noch andere Personen, denen er seinen Schwiegersohn vorstellen wird und die ihm helfen können, sich in dieser schwierigen Umgebung zurechtzufinden.
Obwohl er Maliks Vorhaben wohlwollend gegenüber steht, zehrt an Jeebleh die Sorge um dessen Wohlergehen; er ist pausenlos bemüht, mögliche Schwierigkeiten vorherzusehen, in der Hoffnung, sie vermeiden zu können. Jeeblehs offensichtliche Besorgnis wiederum führt dazu, daß sich Malik unwohl fühlt. Als Auslandskorrespondent, der im Kongo, in Afghanistan, im Iran und an anderen Brennpunkten der Welt war, ist er überzeugt, daß er keiner Anweisungen bedarf, was man zu tun und zu lassen hat. Und somit sind die beiden bereits eine halbe Stunde nach ihrer Ankunft in Somalia gehemmt und einsilbig; keiner sagt, was er auf dem Herzen hat.
Beim Anblick eines jungen, knapp zwanzigjährigen Mannes fällt Malik sein Neffe Taxliil ein, der vor kurzem mit anderen somalisch-amerikanischen Jugendlichen aus Minnesota verschwunden ist. Sie sind angeblich in Somalia als Freiwillige zur
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