Geliebt, begehrt, verwoehnt
dringendes Problem hatte. Eine leitende Angestellte seiner Firma hatte überraschend gekündigt, weil sie zu ihrem Freund nach Boston ziehen wollte. Melly hatte ihren Laptop dabei. Innerhalb von Minuten hatte sie eine Liste möglicher Bewerber für die Stelle zusammengestellt und sie per E-Mail an ihren Kunden geschickt. Weniger als eine Stunde später saß sie in Finns Küche und trank Kaffee. Sie hatte bereits die Termine für die Vorstellungsgespräche vereinbart und freute sich darüber, wie schnell und routiniert sie alles erledigt hatte.
Sie war so aufgeregt, dass sie nicht still sitzen konnte. Rastlos ging sie in der Küche auf und ab. Es war nicht nur die Tatsache, dass sie die Anfrage ihres Kunden so prompt bearbeitet hatte, über die sie sich freute. Etwas anderes begeisterte sie noch viel mehr. Ihr war klar geworden, dass sie nicht unbedingt in London zu sein brauchte, um zu arbeiten. Wenn sie zum Beispiel ein Büro in Shrewsbury eröffnete, müsste sie natürlich ab und zu nach London fahren, um ihre Kontakte zu pflegen. Aber wenn sie alles perfekt organisierte, genügte es, wenn sie alle zwei Wochen für einen Tag in die Stadt fuhr. Sie konnte tagsüber ihre Besprechungen abhalten und abends zurück nach Hause fahren. Nach Hause!
Melly blieb stehen und blickte aus dem Küchenfenster. Der Schnee war schon fast weggeschmolzen, aber der Schnee interessierte sie jetzt nicht Finn und ihr Zuhause waren auf einmal gleichbedeutend. Wann 'war das passiert? Letzte Nacht, als sie sich geliebt hatten? Melly gestand sich ein, dass es schon begonnen hatte, als sie sich zum ersten Mal berührt hatten.
Lange hatte sie gegen ihre Gefühle angekämpft. Sie war fest entschlossen gewesen, sie zu verleugnen und zu unterdrücken. Die ganze Zeit hatte sie Angst davor gehabt, dass es sie verletzlich machen würde, zu ihnen zu stehen. Doch jetzt war alles anders. Sie hatte sich verändert. Wie und warum, konnte sie nicht genau sagen. Was sie bewegte, ließ sich nicht in Worte fassen. Vom Verstand her konnte sie nicht nachvollziehen, wie ihre Wut und ihre Angst sich auf einmal in Liebe verwandelt hatten. Diese Liebe hatte schon bei ihrer ersten Begegnung begonnen und dann immer mehr an Kraft gewonnen.
Erst jetzt wurde Melly bewusst, was sie schon lange gefühlt hatte. Sie liebte Finn. Diese Erkenntnis stellte ihre Art, die Dinge zu betrachten, auf den Kopf.
Wie eine reinigende Flut hatte die Leidenschaft die alten Schranken fortgespült, die die Liebe aus ihrem Leben fern gehalten hatten. Melly fühlte sich auf einmal wie von einer großen Last befreit, von der sie vorher nicht einmal gewusst hatte, dass sie sie trug. Das Leben war für sie immer eine ernste Angelegenheit gewesen. Sich zu verlieben war ihr immer als ein egoistischer Luxus erschienen, den sie sich nicht leisten konnte.
Anders als ihre Eltern, die nur an sich selbst und ihr Vergnügen gedacht hatten, stand für sie Verantwortungsbewusstsein an erster Stelle. Während ihr Vater und ihre Mutter sich nie um die Bedürfnisse anderer Menschen gekümmert hatten, hatte sie geglaubt, ihre eigenen Gefühle opfern zu müssen, um ihre Verpflichtungen anderen Menschen gegenüber erfüllen zu können.
Jetzt begriff Melly, dass eine so extreme Selbstaufopferung nicht notwendig war. Ihre Eltern waren unreif und selbstsüchtig gewesen. An ihrem Verhalten war nicht die Liebe schuld gewesen. Auf einmal konnte sie sich vorstellen, dass Liebe und Verantwortungsbewusstsein nebeneinander existieren konnten. Eine Beziehung zu haben und seine Selbstständigkeit zu bewahren war kein unüberbrückbarer Widerspruch.
Als sie Finn zum ersten Mal gesagt hatte, dass sie ihn liebte, hatte sie sich dafür gehasst und es auch ihm übel genommen. Aus Angst hatte sie sich einzureden versucht, dass sie ihn nicht liebte. Nun wusste sie allerdings, dass es nicht wahr war. Sie hätte schon längst auf ihr Herz hören sollen. Von jetzt an würde alles anders werden.
Ein glückliches Lächeln erhellte ihr Gesicht. Ohne es zu merken, begann Melly leise, den "Hochzeitsmarsch" zu summen. Als es ihr bewusst wurde, errötete sie.
Wie gut, dass Finn sie nicht hören könnte! Sie konnte sich gut vorstellen, wie er sie deswegen geneckt hätte.
Als Finn eine Viertelstunde später die Küche betrat, saß Melly konzentriert über ihren Laptop gebeugt und arbeite.
"Ich bin gleich fertig. Noch fünf Minuten", sagte sie. Im selben Moment klingelte ihr Handy. Sie nahm das Gespräch an und meldete sich
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