Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte
München im Knastbus ein – einer dieser aus bruchssicheren, schwer bewachten Busse mit schmalen Fensterschlitzen, die man manchmal in den Innenstädten oder auf der Autobahn sieht. Bis ich Claus kennenlernte, habe ich mich beim Anblick solcher Busse immer ein wenig gegruselt, wenn ich mir die von außen unsichtbaren Insassen vorstellte. Jetzt sehe ich sie, wie so vieles, mit anderen Augen. Claus musste mit diesem Bus wegen einer komplizierten Zahn- OP zu einem Spezialisten am anderen Ende der Stadt gebracht werden; der Anstaltszahnarzt traute sich den Eingriff nicht zu.
»Ich weiß nicht, ob der Fahrer extra die schönsten Stra ßen Münchens entlanggefahren ist oder ob das einfach Zufall war. Aber nach vier Jahren in Stadelheim war es einfach Wahnsinn, durch diese kleinen Fenster das echte Leben draußen zu sehen. Die schönen Häuser! Bäume mit Herbstlaub! Bunt dekorierte Schaufenster! Obststände voller Früchte! Hübsche Frauen in schicken Kleidern! Und so viele Menschen, dass einem ganz schwindlig geworden ist. Ich war total aufgewühlt danach.«
Und dennoch: So schwierig die Zeit hinter Gittern auch für ihn war, fühlte sich Claus dort auch auf eine seltsame Weise sicher und beschützt. Er musste sich zwar in den Therapien mit seiner Tat und seiner Schuld auseinandersetzen, aber er musste keinen Menschen gegenübertreten, die ihn hassten und ablehnten, weil er Elke getötet hatte. Er musste nicht auf einer Party Leuten in die Augen sehen, die er von früher kannte. Das würde ihn draußen zwangsläufig erwarten. Er musste sich nicht um einen neuen Job kümmern, eine Wohnung suchen, sich ein neues Leben aufbauen mit all den Problemen, die jemanden erwarten, der aus der Haft entlassen wird. Und er musste sich auch nicht mit der Frage herumschlagen, ob er überhaupt in der Lage wäre, nach all dem, was passiert ist, eine Liebesbeziehung zu führen – und ob er eine Frau findet, die sich darauf einlässt.
Wie es weitergeht
Wir sitzen bei einer Paartherapeutin – elf Monate, zwei Wochen, fünf Tage und siebzehneinhalb Stunden nachdem mir Claus den Mord an seiner Exfreundin gestanden hat. Wir haben nicht eng nebeneinander auf einer kleinen Ledercouch Platz genommen, wie man es so oft in Filmen sieht, wenn ein Paar beim Therapeuten gezeigt wird; wir sitzen stattdessen in Rattanstühlen mit taubenblauen Sitzkissen. Monatelang habe ich auf diese Therapie gedrängt, und nun finde ich es ganz schrecklich hier. Die Luft ist so stickig, wie ich es befürchtet hatte. Es ist stark überheizt – und wenn ich das schon so empfinde, muss es wirklich heiß sein, denn ich habe es eigentlich gern extrawarm und kuschelig, was stets zu Diskussionen und Gezänk zwischen Claus und mir führt, wenn wir uns in denselben Räumen aufhalten. Ich blicke ihn an, hebe die Augenbrauen; er wischt sich unauffällig mit dem Handrücken über die Stirn und formt ein unhörbares »Puuuh« mit seinen Lippen.
Vor uns, auf einem Kiefernholztischchen, steht eine Packung Kleenex – auch das trägt nicht gerade dazu bei, meine Stimmung zu heben. Tränen scheinen hier fest eingeplant zu sein.
Neben den Kleenex liegt ein Holzbrett, es sieht auf den ersten Blick wie ein Brettspiel aus. Doch dann erkenne ich, dass es irgendein Therapiewerkzeug sein muss, denn um einen aufgemalten Kreis auf dem Brett sind ver schiedene Gefühle aufgedruckt: Wut, Angst, Hass, Liebe, Freude, Ablehnung und so weiter. Ein drehbarer Holzpfeil in der Mitte kann so bewegt werden, dass er wie eine Art Uhrzeiger auf das jeweilige Gefühl weist, das man empfindet. Esoterikscheiß. O Gott, ich hasse so was, denke ich.
Claus hat sich endlich um die Therapiestunde gekümmert, und er hat natürlich eine blonde, sehr attraktive Therapeutin ausgesucht, die gleich bei mir ums Eck praktiziert. Als er mir den Link zu ihrer Homepage mailte, musste ich grinsen.
»War ja klar, dass du zu einer Blondine willst«, sagte ich am Telefon zu ihm.
»Aber du musst zugeben, dass sie einen ganz guten Eindruck macht, wenn man sich das alles durchliest, was sie da auf ihrer Website so schreibt.«
»Ja, macht einen Spitzeneindruck«, antwortete ich und meinte das nur ein klein wenig ironisch. Es klang wirklich gut.
Jetzt, wo ich ihr gegenübersitze, finde ich sie nicht mehr ganz so attraktiv wie auf dem Foto im Netz, trotzdem durchzuckt mich ein Anflug von Eifersucht, so wie jedes Mal, wenn ich mit schönen blonden Frauen zu tun habe, von denen ich weiß, dass sie Claus gefallen. Und wie
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