Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte
mich ab. Er hatte vorgeschlagen, gemeinsam hinzugehen, da die Praxis nur wenige Hundert Meter von meiner Wohnung entfernt ist. Nach dem Begrüßungsküss chen erzählte ich ihm davon, dass ich das Depressions-Sonderheft deutlich früher abgeben müsse als ursprünglich vereinbart und dass ich außerdem mehr Geschichten schreiben werde, da einige Autorinnen krank geworden seien. Ich fing an zu jammern, dass die nächste Zeit ziemlich stressig werden würde.
»Mir graut davor, aber da muss ich jetzt halt durch«, sagte ich zu ihm.
Claus sah das völlig anders. Das solle ich mir nicht gefallen lassen, ich müsse lernen, auf den Tisch zu hauen und mich durchzusetzen, alt genug sei ich ja wohl; ob ich denn überhaupt schon mal mit der Redaktionsleiterin gesprochen und ihr klargemacht hätte, dass das so nicht gehe; und dass so etwas auch zum Job gehöre, mal ganz deutlich seinen Standpunkt zu verteidigen …
Ich reagierte genervt.
»Nein, verdammt, das habe ich nicht, und darum geht es doch überhaupt nicht …«
»Ein typisches Mann-Frau-Problem«, sagt die Paartherapeutin eine halbe Stunde später und lächelt uns milde an.
»Sie«, sagt sie und blickt in meine Richtung, »wünschen sich emotionale Unterstützung, möchten sich einfach mal ausheulen und getröstet werden.« Dann guckt sie Claus an. »Und Sie bieten ihr sofort Problemlösungen an, auf einer sehr rationalen Ebene. Versuchen Sie doch stattdessen mal, Ihre Freundin emotional zu unterstützen, sprich zu trösten, wenn sie sich im Job überfordert fühlt. Sagen Sie einfach mal nichts, und nehmen Sie sie stattdessen in den Arm.«
Claus nickt.
»Und Sie könnten die Ratschläge Ihres Freundes doch auch positiv sehen. Es sind Vorschläge, es ist seine Form, Ihnen zu helfen, kein Angriff.«
Auch ich nicke.
Wieder wendet sie sich Claus zu.
»Und was die Dosensuppe betrifft: Sie meinen es bestimmt nur gut. Aber letztlich vermitteln Sie Ihrer Freundin damit immer: Mach’s anders, mach’s wie ich . Tun Sie sich schwer damit, zu akzeptieren, wenn Dinge anders gemacht werden, als Sie sie machen würden?«
»Ja, sehr«, sage ich, bevor Claus antworten kann.
»Nein, überhaupt nicht!«, ruft Claus.
»Doch, du Kontrollfreak«, denke ich und schäme mich für meinen Gedanken.
»Auch wenn Sie sich nicht schwer damit tun – auf Ihre Freundin muss es so wirken, wenn Sie ihr beim Dosensuppenaufwärmen so viel dazwischenreden. Verstehen, Sie, was ich meine?«
»Hm, ja«, meint Claus.
»Und Sie sollten sich bewusst machen, dass auch das kein Angriff Ihres Freundes ist. Versuchen Sie es doch einmal aus seiner Perspektive zu betrachten …«
»Genau«, sagt Claus und unterbricht die Therapeutin. Eine Angewohnheit, mit der er mich während unserer Streitereien zur Raserei bringt – oft lässt er mich kaum noch zu Wort kommen, was mich wiederum dazu bringt, immer lauter zu werden. »Ich meine, wir lieben uns doch«, fährt Claus fort, »da sollte doch klar sein, dass ich nicht alles böse meine. Kristin legt, ich meine, du legst immer alles gegen mich aus.«
»Da geben Sie ein gutes Stichwort: Liebe. Erinnern Sie sich noch an die Anfangszeit, als Sie frisch verliebt waren?«, ergreift die Therapeutin wieder das Wort.
Wir nicken synchron.
»Da sind Sie sich in Liebe begegnet. Darum muss es wieder gehen. Sich in Liebe zu begegnen.«
Bei ihren letzten Sätzen ziehe ich scharf die Luft ein und seufze innerlich.
Die Therapeutin hat recht mit ihrer Analyse und ihren Ratschlägen. Doch Ausdrücke wie »in Liebe begegnen« haben bei mir denselben Effekt wie zwei Styroporstücke, die aneinandergerieben werden – ich kann es nicht hören, ohne dabei zu leiden.
Himmel, Kristin, denke ich, hör auf damit, dich über solche unwichtigen Kleinigkeiten oder einzelne Formu lierungen aufzuregen. Was die Blondine sagt, stimmt. Stimmt. Stimmt. Verdammt noch mal.
Ich fange an zu überlegen, wann Claus und ich uns zuletzt in Liebe begegnet sind, aber es klappt nicht. Alles in mir sträubt sich; dieser Ausdruck ist einfach zu grauenvoll. Ich versuche es mit Wann waren wir uns zuletzt nah, wann haben wir eine schöne Zeit miteinander gehabt? Erschreckend, dass ich so lange überlegen muss. Zum Glück fällt mir irgendwann das Anfänger-Weinseminar ein, das wir vor Kurzem zusammen besucht haben. Wir trinken beide äußerst gern Wein, wissen aber so gut wie gar nichts darüber. Also gingen wir mit dem festen Vorsatz zu der dreistündigen Abendveranstaltung, möglichst viel über
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