Geliebter Normanne
König nickte verstehend.
»Ich kenne den Mann kaum, weiß jedoch, dass er aus niedrigem Adel stammt und damit Eurer Familie nicht ebenbürtig ist. Allerdings habe ich erfahren, dass er bei Hastings tapfer gekämpft hat, daher habe ich ihn mit der Aufgabe, Eure westlichen Besitzungen unter Kontrolle zu bringen, beauftragt. Ein eigenes Stück Land kann ich ihm nicht geben, dafür ist er von zu geringer Herkunft.«
Ja, Ralph Clemency hatte sich bei der Eroberung Englands wacker geschlagen, und Dutzende waren durch sein Schwert gestorben, aber er war dabei äußerst grausam vorgegangen. Diese Gedanken behielt Bosgard für sich.
»Ihr werdet, wenn Ihr London verlasst, ein paar gebrochene Herzen zurücklassen, Bosgard.« Der König schmunzelte. »Besonders Lady Constance wird sich die Augen ausweinen.«
»Ich habe mich der Lady gegenüber immer angemessen verhalten, Sire, und nie etwas gesagt oder getan, woraus sie falsche Schlüsse ziehen könnte …«
»Lady Constance wäre jedoch eine passende Braut für Euch«, unterbrach König William. »Sie ist die Tochter eines von mir geschätzten Gefolgsmannes, zudem reich und – soweit ich es beurteilen kann – auch außergewöhnlich schön. Ihr braucht auf Eurem Gut eine Herrin.«
Bosgard hob seufzend die Hände und schüttelte den Kopf.
»Verzeiht, Sire, aber ich verspüre nicht den Wunsch zu heiraten.« Jedenfalls nicht Lady Constance, fügte er in Gedanken hinzu, denn die junge Frau verfolgte ihn seit Monaten mit schmachtenden Blicken, obwohl er nie mehr als ein paar höfliche Worte mit ihr gewechselt hatte. Bosgard wäre froh, aus ihrer Reichweite zu entkommen.
»Ihr solltet es Euch gut überlegen, Bosgard. Ich würde eine Vermählung von Lady Constance und Euch sehr befürworten.«
Bosgard wurde einer Antwort enthoben, da ein Ritter zum König trat und ihm eine Nachricht überbrachte, die William aufmerksam studierte. Bosgards Gedanken schweiften zu seinem Schwager. Ralph Clemency stammte aus einer einfachen und unvermögenden normannischen Familie, aber Bosgards Schwester Joan hatte sich Hals über Kopf in den wagemutigen und starken Krieger verliebt. Ihre Eltern hatten der blonden und zarten Schönheit noch nie einen Wunsch abschlagen können und somit der Heirat zugestimmt. Leider starb Joan nur zwei Monate nach der Hochzeit an einem Fieber. Die Familie de Briscaut war seit Jahren mit dem Herzog der Normandie verbunden und über mehrere Ecken sogar mit ihm verwandt, so war es keine Frage, dass sich Bosgard wie auch Ralph William anschlossen, als dieser ein Heer zusammenzog und nach England aufbrach, um sich die ihm zustehende Krone Englands aufs Haupt zu setzen. Da Bosgard der zweitälteste Sohn war und sein Bruder den väterlichen Besitz in der Normandie erben würde, blieb für ihn ohnehin nur die Laufbahn eines Ritters, denn für den Klerus und damit für eine kirchliche Laufbahn hatte er nicht viel übrig. Seit Bosgard und Ralph jedoch in England waren, hatte Bosgard seinen Schwager von einer Seite kennengelernt, die ihm nicht gefiel. Ralph gab sich nicht damit zufrieden, Menschen zu besiegen und – wenn es nötig war – zu töten, sondern er liebte es, sie zu quälen und sich an ihrem Elend zu weiden. Seinen Knappen schlug er regelmäßig wegen der kleinsten Kleinigkeit, sein Pferd behandelte er besser als die Menschen, die ihm dienten. So war Bosgard einerseits erleichtert gewesen, als der König Ralph gen Westen und damit fort vom Hof sandte, andererseits befürchtete Bosgard, Ralph würde auf seinem neuen Besitz Angst und Schrecken verbreiten, anstatt das Gut profitabel zu bewirtschaften. Er hatte Ralph zwar eindeutige Befehle erteilt, aber dieses Cornwall war weit von London entfernt, und Bosgard hatte seine Zweifel, dass Ralph sich ihm gegenüber loyal verhalten würde.
Als der König das Schreiben zu Ende gelesen hatte und sich erhob, stand Bosgard ebenfalls auf.
»Wenn Ihr erlaubt, würde ich mich gerne zurückziehen.«
William nickte und trat vor Bosgard. Beide Männer waren etwa gleich groß, aber Bosgards Schultern waren breiter und muskulöser und seine Hüften schmaler. Sein blondes Haar trug er der Mode entsprechend im Nacken und Hinterkopf ausrasiert, allerdings fiel es ihm in einer Tolle in die Stirn. Die Frisur brachte Bosgards eckiges, markantes Kinn gut zur Geltung.
»Mein Freund, ich sehe, wie es Euch von den Annehmlichkeiten, die mein Hof Euch zu bieten hat, fortzieht.« Der König lächelte mit einem Anflug von Spott.
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