Geliebter Normanne
Das würde dich auf andere Gedanken bringen, denn bis der neue Erdenbürger das Licht der Welt erblickt, kann es durchaus noch etwas dauern, zumal es Haylas erstes Kind ist.«
Bosgard zögerte. Er wollte Hayla nicht allein lassen, andererseits konnte er ihr nicht helfen, indem er ruhelos wie ein gefangenes Tier auf und ab lief. Gerade als er seinem Bruder zustimmen wollte, klappte oberhalb der Treppe eine Tür, und ein lauter Schrei ertönte – der Schrei eines Säuglings!
Zwei Stufen auf einmal nehmend, stürmte Bosgard die steinerne Wendeltreppe hinauf. Auf dem Absatz stand seine Mutter. Sie sah müde und erschöpft aus, aber ihre Augen strahlten, und in ihren Armen lag ein Baby, das lautstark die Welt, in die es hineingeboren wurde, begrüßte.
»Du hast eine Tochter, Bosgard.« Über Adeles Wangen liefen Tränen, als sie das Bündel ihrem Sohn zeigte. »Eine wunderschöne und gesunde Tochter.«
Vorsichtig, als könne allein sein Blick dem zarten Wesen schaden, sah Bosgard in das kleine, rote Gesicht. »Was ist mit Hayla?«, fragte er bang.
»Es geht ihr gut, sie ist jedoch müde, aber sie möchte dich sehen.«
Zögernd trat Bosgard in die Kammer. Er erschrak, als er Hayla sah. Sie schien so klein und zart in dem großen Bett, in dem auch er zur Welt gekommen war, und ihr Gesicht war bleich. Hayla blickte ihm jedoch lebhaft entgegen, und sie hob den Kopf, als Bosgard an ihre Seite trat.
»Es ist nur ein Mädchen. Verzeih …«
Schnell legte Bosgard eine Hand auf ihren Mund. »Ich habe sie bereits gesehen. Sie ist wunderschön, beinahe so schön wie ihre Mutter. Ich bin sehr stolz auf dich.«
»Aber du wolltest doch einen Jungen«, wandte Hayla ein.
Bosgard schüttelte lachend den Kopf. »Ich wollte nur, dass es dir und dem Kind gutgeht, alles andere ist zweitrangig. Wir werden noch viele Kinder bekommen, mein Herz.«
Erschöpft schloss Hayla die Augen und sank in die Kissen zurück. Bosgard erschrak, aber da legte sich eine Hand von hinten auf seine Schulter.
»Ihr müsst sie jetzt ruhen lassen, Mylord. Ich kümmere mich um Hayla.« Das Französisch der Frau war fehlerhaft und von einem starken Akzent geprägt, aber sie sprach voller Freude. Bosgard drückte fest die faltige Hand der Alten, und Hayla öffnete wieder die Augen.
»Keine Sorge, Bosgard, bei Waline bin ich in den besten Händen.«
Als Waline, zusammen mit Eric und seiner Schwester Hilda, vor vier Monaten in die Normandie gekommen war, hatte Hayla geglaubt, ihren Augen nicht zu trauen. Nachdem König William Penderroc Castle einem seiner Ritter übereignet hatte, waren die Arbeiten an der Burg fortgeführt worden, und das Dorf war weiter gewachsen. Waline hatte sich allerdings immer um Hayla gesorgt und eines Tages beschlossen, ihren Schützling in Frankreich zu suchen. Eric und seine Schwester waren sofort bereit gewesen, sie zu begleiten, und der neue Herr hatte sie alle ziehen lassen. Nach einer langen Reise, die Waline erstaunlich gut überstanden hatte, waren sie in Montsuvant angekommen und dienten seitdem in Bosgards Haus. Durch Waline hatten sie erfahren, dass Constance Aubrey einen gesunden Jungen zur Welt gebracht hatte und unmittelbar nach der Geburt mit einem älteren Ritter aus dem Norden Englands vermählt worden war. Die Gefühle des Königs mussten hinter seiner Pflicht zurückstehen, und es war ihm keine andere Wahl geblieben, als seine einstige Geliebte weit fort vom Hof unterzubringen. Hayla verspürte ein wenig Mitleid mit Constance, auch wenn die Frau ihr so viel angetan hatte. Dies war nun jedoch vorbei, und sie hatte an Bosgards Seite das vollkommende Glück gefunden.
Niemand anderen als Waline hatte Hayla als Geburtshelferin an ihrer Seite haben wollen, als ihre Zeit gekommen war. Nun lehnte die alte Magd erschöpft, aber zufrieden an der Wand und betrachtete voller Stolz Mutter und Kind, nachdem Adele das Kind an Haylas Brust gelegt hatte. Adele schaute ihren Sohn streng an. »Du musst uns nun allein lassen, deine Tochter hat Hunger, und wir müssen sie wickeln.«
Zärtlich strich Bosgard über Haylas Wange, dann beugte er sich zu ihr hinab und küsste sie auf die Lippen.
»Ich danke dir, mein Herz, und ich liebe dich mehr, als Worte es beschreiben könnte. Ich möchte immer an deiner Seite sein.«
»Ich weiß, Bosgard. Nun sind wir eine richtige kleine Familie, und ich werde dich niemals wieder gehen lassen, aber im Moment fordert deine Tochter ihr Recht.«
Bosgard stand auf und wandte sich zur Tür.
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