Geliebtes Landleben
wollte Geheimnisse auskundschaften, — wie man es auch drehte, es war eine Unverschämtheit, sogar die Tatsache, daß ich Tony als meine Tochter betrachtete, war keine Entschuldigung. Ich mag besitzgierige, mißtrauische Mütter nicht, doch genauso hatte ich mich benommen.
Doktor Barrett hatte schon gefrühstückt und packte soeben seine Tasche, als ich an seine Hintertür klopfte. Er begrüßte mich herzlich und fragte, ob sich Tony von unserem Abenteuer erholt habe. »Natürlich. Wir haben geschlafen wie Bären. Wir waren eigentlich nicht müde, eher überdreht.«
Er lächelte sehr freundlich. »Ich glaube, Sie fühlten sich in die erste Zeit Ihres Pionierlebens zurückversetzt und erinnerten sich an die historische Reise, die Sie und Larry machten, als Christopher im ungeschicktesten Augenblick auf die Welt kommen wollte.« Jetzt ging es mir besser. Natürlich war ich einfach eine alberne gefühlvolle Frau, die zurückblickte und sentimental wurde. Ich sagte: »Ja, wahrscheinlich hatte es etwas damit zu tun. Das war auch eine solche Nacht und eine solche Straße. Die Menschen in diesem einsamen kleinen Haus sahen so unglücklich aus.«
»Jetzt geht es ihnen gut. Das Krankenhaus ist mit dem Kind ganz zuversichtlich, und ich habe sie heute morgen schon angerufen, um ihnen die gute Nachricht mitzuteilen. Denken Sie jetzt nicht mehr daran. Aber Tony hat viel zuviel Phantasie und Mitleid. Es taugt nichts, sich über die Sorgen aller Menschen aufzuregen. Sie hat nicht dieselben Erfahrungen durchgemacht wie Sie, und Gott sei Dank wird sie das auch nie müssen.«
»Oh, sie würde damit fertig. Tony ist kein schwaches Wesen.«
»Als ob ich das nicht wüßte. Aber sie wird es bestimmt nicht nötig haben.«
Es hatte keinen Zweck zu sagen, daß sie vielleicht dieses Leben mit allen Nachteilen dem konventionellen und zivilisierten Stadtleben vorziehen könnte. Deshalb sagte ich nur: »Sie sind zu diesen armen Leuten sehr, sehr gut gewesen, Oliver.«
Er sah ehrlich erstaunt aus. »Warum nicht? Solange ich hier bin, ist das meine Arbeit.«
>Solange er hier war... < Wie lange würde das sein?
9
Einmal im Jahr, früh im November, halten die Schulen auf dem Lande den sogenannten >Kälbchentag< ab. Das ist ein aufregender Anlaß für die Kinder und ein anstrengender für die Eltern. Frühmorgens gehen die Mütter hinaus und helfen, das kleine Lämmchen einzufangen, das vorgeführt werden soll. Normalerweise ist es so zahm, daß es die hintere Veranda seinen eigenen Gefilden vorzieht, gerade an diesem Morgen aber mit leichtherziger Fröhlichkeit über die Koppel hüpft und tanzt und kaum überredet werden kann, sich der Milchflasche zu nähern, auf die es sich sonst leidenschaftlich stürzt. Ist es dann erst einmal angebunden, kann die Familie es einige Stunden lang vergessen, während das ganze Drama mit dem Lieblingskälbchen wiederholt wird.
Die jüngeren Kinder führen normalerweise nur ein Hauslämmchen vor, das nach Zucht, Geschick und Rasse beurteilt wird. Die älteren bringen ihre Kälber, die nach denselben Eigenschaften beurteilt werden. Sinn der Sache ist, die Kinder dadurch in engere Verbindung mit den Tieren zu halten und daß sie einen Großteil ihrer Zeit und viel Arbeit auf ihre Lieblinge verwenden. In Wirklichkeit verhält es sich — zumindest in meinem und Larrys Haushalt — so, daß die Besitzer sich drei Tage vor dem >Kälbchentag< wie wahnsinnig mit einem intensiven Training abplagen und die lieben Tierchen sich die übrige Zeit nach Lust und Laune vergnügen, normalerweise im Blumen- oder Gemüsegarten.
Den Eltern macht der >Kälbchentag< keinen Spaß, aber wir mühen uns alle ab, weil es für den Schulausschuß die Gelegenheit ist, Geld einzunehmen. Schulausschüsse haben ein hartes Leben; ihre wichtigste Funktion besteht darin, Geld für Schulanlagen wie Spielplätze und Gärten einzunehmen und auszugeben. Unsere kleine Schule steckte noch in den Kinderschuhen, aber unser Lehrer hatte drei Geliebte: seine Frau, das Schulgelände und einen schrecklichen kleinen Esel, den beide vergötterten. Die Liebe zu dem Schulgelände erklärte sich vor allem aus der Liebe seiner zarten Frau zu Blumen. Die Liebe zu dem Esel konnte sich keiner von uns vernünftig erklären.
Sein erstes Ziel, das darin bestand, einen Tennisplatz für die Schule zu bauen, hatte Mr. Marshall schnell erreicht. Jetzt war er entschlossen, dieser Tat ein Schwimmbad folgen zu lassen, das es in den meisten anderen Schulen
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