Gene sind kein Schicksal
Nahrung der amerikanischen Pimas enthält zu 62 Prozent Kohlenhydrate, die der mexikanischen Pimas 49 Prozent). Die Ernährung spielt auch eine Rolle, aber den entscheidenden Unterschied zwischen einem dünnen und einem dicken Pima macht die körperliche Bewegung aus.
In der wissenschaftlichen Literatur und in Magazinartikeln wird gerne kolportiert, die Pimas in Arizona hätten eine besondere genetische Anfälligkeit für Fettleibigkeit. Was für ein Märchen! Die Pimas sind so dick, weil man ihren traditionellen Lebensstil zerstört und sie in Reservate gesteckt hat.
Abbildung 9 :
Kontrolldreieck der Energiebilanz
Die Energiebilanz des Menschen wird nur zu einem geringen Teil von der Biologie beeinflusst. Einen viel größeren Einfluss haben Faktoren, die den Lebensstil betreffen. Weil man das Verlangen nach Nahrungsaufnahme nicht über eine bestimmte Schwelle absenken kann, sind Hungerkuren zum Scheitern verurteilt. Nach oben gibt es allerdings keine Grenze: Aus diesem Grund können Menschen, die dauerhaft mehr Energie zu sich nehmen, als sie verbrennen, ein Körpergewicht von 500 Kilogramm und mehr erreichen.
Rund 100 bis 200 Gene sind schätzungsweise daran beteiligt, wie viel Energie ein Mensch verbraucht, wie er Nahrung verwertet und wie viel Fettmasse er ansetzt. Daraus ergeben sich keine Risikogruppen, sondern allenfalls biologische Varianten. Bei gleicher Ernährung und Bewegung mag der eine eher hager sein, der andere eher untersetzt. Aber die Fälle von Fettleibigkeit, wie sie seit wenigen Jahrzehnten in der Menschheit auftreten, erklären die Gene nicht.
Das lehrt auch die Geschichte des Mädchens aus Leipzig, das nicht satt werden kann. Nachdem die Genetiker die seltene
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-Mutation bei ihm diagnostiziert hatten, begrenzten die Eltern die Mahlzeiten weiter und kontrollierten sein Körpergewicht mit der Badezimmerwaage. Insbesondere aber ermunterten sie die Tochter, sich viel körperlich zu bewegen. Mit diesen einfachen Maßnahmen ist es gelungen, ihre biologische Anlage zum Dicksein ins Leere laufen zu lassen. Die Mutter hat es der Tochter vorgelebt. Weil sie sich stets vernünftig ernährte und viel bewegte, war die Frau immer rank und schlank. Dabei trägt die Mutter selbst die
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-Mutation. Das erfuhr sie aber erst, als die Leipziger Ärzte auch ihr Blut untersuchten. Etwas gespürt von dieser angeblichen Erblast hat die Frau nie.
Kapitel 14 /Epilog Unsere Gene sind wunderbar wandelbar
Auch zehn Jahre nach der Entzifferung des menschlichen Erbguts sind der Ankündigung, die großen Volkskrankheiten besiegen zu können, keine Taten gefolgt. Der klinische Alltag hat bisher nur kaum von der »genetischen Revolution« profitiert. Und doch erscheint die Genetik vielen Menschen wie eine neue Religion. Ihr Schicksal, so denken sie, habe sich in ihren Genen bereits entschieden. Der Glaube an die Allmacht der Biologie spendet Trost und schenkt Entlastung.
Der Glaube an die Gene hat in Wahrheit aber verhängnisvolle Folgen. Auf der Suche nach genetischen Hirngespinsten verpulvern Forscher Summen in Milliardenhöhe, doch was sie abliefern, ist ein Wust von unverdauten und unverdaulichen genetischen Assoziationen. Dieser Wust gaukelt zwar einen Fortschritt vor, jedoch hat er die Menschheit bisher weder gesünder noch glücklicher gemacht. In der Altersforschung, um nur ein Beispiel zu nennen, suchen Biologen nach immer neuen Methusalem-Genen und sind nahezu blind für die Frage, welche äußeren Faktoren eigentlich mit einem langen und erfüllten Leben verbunden sind. Überhaupt wäre es ergiebiger, vermehrt den Einfluss der Umwelt auf unsere Gesundheit und unser Gehirn zu erforschen. Doch dieser Ansatz zieht im Zeitalter der Biomedizin den Kürzeren, der Mensch wird auf seine molekularen Bauteile reduziert.
Gravierend sind die Folgen der Gen-Gläubigkeit für die einzelnen Menschen. Die Annahme, seelische und körperliche Probleme hätten eine biologische Wurzel, raubt ihnen die Hoffnung. Sie flüchten sich ins Nichtstun, in einen genetischen Nihilismus und warten untätig darauf, dass sich ihr Schicksal erfülle.
Abbildung 10 :
Die Umwelt steuert die Gene
Diese Sichtweise als Trugschluss zu erkennen, das ist keine Frage der Weltanschauung und auch nicht des Zeitgeistes. Es geht nicht darum, ob das Pendel gerade in Richtung Umwelt schwingt oder in Richtung Gene. Dass die Allmacht der Gene ein Märchen ist, ist die ultimative Erkenntnis der Genforschung selbst. Forscher haben
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