Genesis Secret
Norden auch hingegeben. Wie die horizontalen Kollaborateurinnen im besetzten Frankreich.«
»Und das«, sagte Kiribali, »wäre auch eine Erklärung für ihren Gott. Den Pfauenengel.«
»Ja. Weil die Jesiden die Wahrheit kennen, ist es ihnen unmöglich, die normalen Götter anzubeten. Deshalb beten sie den Teufel an: Melek Taus, den Moloch der Kindsverbrennungen. Eine symbolische Nachbearbeitung der bösen Supermenschen mit ihren vogelartigen Augen. Und viele tausend Jahre lang war dieser seltsame Glaube ein streng gehütetes Geheimnis. Das Göbekli-Gen verbreitete sich in aller Welt, es gelangte über die Beringstraße sogar nach Amerika. Doch das eigentliche Geheimnis der Jesiden, das Genesis Secret, war vor Aufdeckung sicher. Zumindest, solange Göbekli Tepe nicht freigelegt wurde.«
»Und wer war die andere Quelle? Sie sagten, es gäbe zwei Quellen für das Wissen über Göbekli?«
»Die im Europa des sechzehnten Jahrhunderts entstandenen Geheimgesellschaften. Die Freimaurer und ähnliche Geheimbünde. Leute, die sich für Gerüchte und Überlieferungen zu interessieren begannen, denen zufolge es im Nahen Osten Beweise, zum Teil sogar schriftlicher Natur, gab, die angeblich die historischen und theologischen Grundlagen des Christentums und auch aller anderen Religionen in Frage stellten.«
Inzwischen standen die Sterne hoch am Himmel, hell und funkelnd.
»Ganz besonders angetan hatten es diese Gerüchte den verderbtesten Vertretern der antiklerikalen englischen Aristokratie«, fuhr Rob fort. »Einer von ihnen, Francis Dashwood, bereiste Anatolien. Was er dort entdeckte, bestärkte ihn in der Überzeugung, dass das Christentum eine Farce war, und er gründete zusammen mit anderen gleichgesinnten Intellektuellen, Künstlern und Schriftstellern, deren raison d’etre die Verachtung und Verhöhnung der etablierten Religion war, den Hellfire Club.« Rob blickte eine Weile gedankenversunken auf den größten Megalith, bevor er fortfuhr: »Allerdings hatten die Hellfires noch keinen stichhaltigen Beweis, dass jede Religion grundsätzlich falsch oder >verkehrt< war. Die Wahrheit über Göbekli wurde erst bekannt, als Jerusalem Whaley vom Irish Hellfire Club von seiner Israelreise zurückkehrte. Er hatte in Jerusalem von einem jesidischen Priester das sogenannte Schwarze Buch bekommen. Warum, wissen wir nicht. Was wir allerdings wissen, ist, dass das Buch in Wirklichkeit eine Box war: die Box mit dem seltsamen Schädel und der Karte, die Sie jetzt haben. Der Schädel war nicht menschlich. Es war ein Hybrid. Auf der Karte war ein in der Nähe von Göbekli Tepe gelegener Friedhof eingezeichnet, der Friedhof der bösen Götter: das Tal des Mordens. Der Priester erklärte Whaley, was es damit auf sich hatte.«
Kiribali runzelte die Stirn. »Und was genau war das?«
»Jerusalem Whaley erfuhr die Wahrheit über die Abstammung des Menschen und die Entstehung der Religionen. Er hatte den Beweis, dass jede Form von Religion eine Farce, eine kollektive Erinnerung, ein immer wieder von neuem durchlebter Albtraum war. Und noch etwas hatte er entdeckt: dass sich ein böser Wesenszug in das menschliche Erbgut eingeschlichen hatte und dass dieser Zug seinen Trägern hohe Begabung, Intelligenz und Charisma verlieh. Er machte sie zu geborenen Führern. Doch wegen ebendieses Genclusters neigen Führer auch zu Sadismus und Grausamkeit. Zum Beweis dafür brauchte Jerusalem Whaley nur einen Blick auf seinen eigenen Stammbaum zu werfen, vor allem auf seinen brutalen Vater, der wiederum von Oliver Cromwell abstammte. Anders ausgedrückt, Whaley war auf eine erschreckende Tatsache gestoßen: dass es das Schicksal der Menschen ist, von den Grausamen angeführt zu werden, weil an die Gene, die Menschen zu intelligenten und charismatischen Führern machen, der Hang zu Sadismus und Brutalität gekoppelt ist. Die Erbanlagen der Nordmenschen.«
Kiribali wollte etwas erwidern, aber Rob schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab; er war fast am Ende seiner Ausführungen angelangt. »Diese Tatsache fand Jerusalem Whaley so niederschmetternd, dass er den Beweis versteckte: die Schachtel mit dem Schädel und der Karte, das Schwarze Buch, das Christine und ich in Irland gefunden haben. Und er zog sich, gebrochen und in seinen Grundfesten erschüttert, auf die Isle of Man zurück. Er war der festen Überzeugung, dass die Welt die Wahrheit nicht ertragen könnte - nicht nur, dass alle abrahamitischen Religionen auf einem Irrtum basierten, einem
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