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Geographie der Lust

Geographie der Lust

Titel: Geographie der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Federspiel
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hinter dem Apfelbaum lauerte.
    Trotz der sommerlichen Jahreszeit trug Laura ein schwarzes, kurzes Wollröckchen mit roten Strümpfen und schwarzen Schuhen. Ihre nicht sehr langen Beine ließen die anwesenden weiblichen Gäste lächeln, wobei diese in ihrer Selbstsicherheit übersahen, welche Rundung die Hinterbacken auszeichneten: eine Wölbung, die von einem vertikalen Äquator geteilt wurde. Und all dies war eben von einem Röckchen umspannt, das sich wie eine zweite Haut ausnahm. Alles schrie nach Enthäutung.
     
    Das Manöver wurde rasch und zunächst schmerzlos vollzogen: Robusti ließ Lauras Begleiter, Livio Dossi, von einem Kellner in eine private Räumlichkeit des Hotels zum Telephon bitten. Signore Dossi war solche Privilegien gewohnt, ließ die junge Schönheit mit einer hingemurmelten Entschuldigung stehen und sah sich alsbald eingesperrt, genarrt also. Er tobte, trat gegen die Tür, doch als man ihn unter vielen Entschuldigungen endlich wieder befreit hatte, war Laura bereits ins obere Stockwerk entführt worden.
    Die Gäste waren etwas aufgeregt, als von einem Küchenbrand die Rede war, und ließen sich erleichtert aus dem Hotel Milan ins Restaurant Lisander entführen, wo weitergefeiert wurde: Limousine um Limousine fuhr vor, der erste Austausch der weiblichen Gäste fand statt. Das Essen war auserlesen. Später verteilten Diener allen weiblichen Gästen Rosen und entschuldigten sich im Namen Signore Robustis für den unliebsamen Zwischenfall.
     
    Während die Gäste zum Restaurant Lisander aufbrachen, suchte unsere schöne Laura noch rasch die Damenräumlichkeit im oberen Stockwerk auf, wo sie ebenfalls eingesperrt wurde. Sie vernahm leise, schleichende Schritte, sang vor sich hin und vertrieb sich die Zeit mit Spiegelchen und Kosmetik. Im übrigen liebte sie Überraschungen; sie kritzelte die Adressen einiger Herren, die ihr vorgestellt worden waren, ins Notizbüchlein.
    Nach einer Viertelstunde befahl eine tiefe Stimme, man möge die Tür sofort öffnen, was auch geschah, und so standen sich Laura und Robusti, Angesicht zu Angesicht, gegenüber. Als nächstes verpaßte Robusti dem Livrierten eine saftige Ohrfeige und drückte ihm ein paar Geldscheine in die Hand. Der so Beglückte bedankte sich, und die beiden nickten sich verständnisvoll zu, wie es in lateinischen Ländern oft der Fall ist: finanzielles Übereinkommen zementiert die Arroganz des Reichtums.
    »Cara Signorina Laura«, begann Robusti, »Ihr liebenswürdiger Begleiter, Signore Dossi, ist aus familiären Gründen – irgendein Todesfall, ich hoffe, es ist kein Nahestehender – verhindert, den Rest des Abends mit Ihnen zu verbringen, und er hat mich, einen langjährigen Freund seiner Familie, gebeten, für Ihr Wohl zu sorgen.«
    Laura strahlte kurz und verlieh dann ihrem Gesicht einen kummervollen Ausdruck. Dann strahlte sie wieder. Ihre Lippen öffneten sich wie eine reife Feige. Dann wurde ihr Gesicht wieder ernst.
    »Sie erlauben, daß ich mich vorstelle: Robusti, Primo Antonio Robusti.«
    »Können Sie sich ausweisen?« fragte sie ernst. Robusti schlug mit der Faust sanft auf seine Herzgegend, wo hinter dem Stoff seiner Weste die Brieftasche zu vermuten war.
    »Wo du nicht bist, Herr Jesu Christ«, bemerkte Laura und bekreuzigte sich.

VIER
    Als die beiden in der Limousine saßen, zog Robusti seine Handschuhe aus, klopfte an die Scheibe, die den Chauffeur von den Insassen trennte, und alsbald verdunkelte sich das Glas vor ihnen.
    Die Lichter der Mailänder Innenstadt pfeilten unablässig vorbei.
    Laura starrte hinaus. »So, wie ich Leute wie Sie kenne«, begann sie schließlich, doch er unterbrach sie: »Ich gehöre nicht zu den Leuten, bitte sehr.«
    »Jedenfalls fahren wir in die Brianza, wo Sie ohne Zweifel eine Villa haben«, redete sie unbeirrt weiter, »wenn Sie mich dort zu vergewaltigen versuchen – nun, versuchen können Sie's ja.«
    »Um Gottes willen«, rief Robusti verlegen und fröhlich zugleich.
    »Wieso um Gottes willen? Hab' ich nicht eben gesagt, Sie können's versuchen.« Sie streichelte so unerwartet Robustis mächtige Rechte, daß er diese ihr in einem Anflug von Verwirrung entzog.
    »Fürchten Sie sich vor Zärtlichkeiten?« Er schwieg eine Weile, legte dann seine Pranke auf ihr Knie, unschlüssig, verwirrt sogar.
    »Eigentlich möchte ich lieber nach Mailand zurück«, sagte sie. »Man kann sich dort herrlich vergnügen –«
    »Wie denn?« Er ärgerte sich über seine Frage.
    »Freunde von mir veranstalten

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