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Geographie der Lust

Geographie der Lust

Titel: Geographie der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Federspiel
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Kinder in unregelmäßigen Abständen zu besuchen und sich um ihr Wohl zu kümmern, sofern sie nicht inzwischen erwachsen oder flügge geworden waren. Der Beauftragte hatte Geschenke bei sich, kontrollierte die Familienverhältnisse, die Schulzeugnisse und brachte seinem Herrn Photos der Kinder mit. Robusti wollte seine Kinder glücklich wissen.
    All die Unterlagen, die der Beauftragte besorgt hatte, wurden sorgfältig archiviert, und in späten Nachtstunden setzte sich Robusti zuweilen in seinen Fauteuil und studierte die Akten, die Bilder und die Berichte über den Lebenswandel der Mütter; zuweilen kritzelte er Fragezeichen oder Bemerkungen in die Protokolle. Alles wurde überprüft.
    Und jährlich einmal suchte er diese seine Kinder von der Lombardei bis Kalabrien auf, unterhielt sich mit ihnen, lobte oder tadelte. Es war beglückend und anstrengend zugleich, doch vor allem beglückend, wenn er sich in den Augen, der Kopfform, den Handbewegungen oder Körperhaltungen wiederzuerkennen glaubte. Eine Stirnbiegung des weiblichen Erzeugerteils, Augenbrauen, die Rabenflügeln ähnelten, herzförmig geschwungene Lippen, in die er sich einst verliebt hatte, es gab so vieles…
    Fünfzehn Söhne und neunzehn Töchter, deren weibliche Formen er ganz sachlich zu betasten pflegte. Er lobte ihr frischgewaschenes Haar, die weißgeputzten Zähne, die hübschen Handarbeiten oder das sehnsüchtige Lied, das sie ihm solo vorzusingen hatten. Mit den Söhnen verfuhr er strenger. Er hieß sie, die Muskeln spielen zu lassen, beobachtete sie beim Schwimmen und betrachtete als Vater neugierig die kleine Rute zwischen ihren Schenkeln. Sie mußten Steine werfen, Bäume erklimmen, Hühnern den Hals umdrehen und giftige Vipern zertreten, ohne Zögern und Angst.
    Und wenn er sich verabschiedete, hatten sie seinen Segen zu erbitten und seine Glatze zu küssen.
     
    Signore Robusti liebte und fürchtete seine Kinder. Jeden Montagabend speiste er, regelmäßig und ohne Ausnahme, mit zwei Anwälten und besprach mit ihnen sein Testament, die Verteilung der Latifundien nach seinem Ableben (dies wurde einfach als »später« bezeichnet), die Geschäfte überhaupt.
    Beide Anwälte hatten sich angewöhnt, nicht zu widersprechen, kritzelten manchmal Stichwörter auf, nickten bedächtig, genossen Speise und Trank, brachen zuweilen über irgendeine Kleinigkeit in Streit aus und schrien speichelumschäumt sich Paragraphen gegenseitig ins Gesicht.
    Primo Antonio Robusti freute sich jedesmal über die Querelen, genauer, er gab vor, sich zu freuen, hoffte, man halte ihn für einen leutseligen, lustigen Gesellen. Worüber er sich jedoch insgeheim freute, war dies: Er wußte genau, daß sie ihn zum Narren hielten.
    Ja, das Sterben. Signore Robusti hätte alles, wirklich alles hergegeben, um auf dem linken Ohrläppchen Gottes einige Parzellen Grund und Boden im Ausmaß von fünfhundert Quadratmetern zu erwerben und sich dort im Laufe der Jahrhunderte an die Ewigkeit zu gewöhnen. Er war nicht sehr gläubig, doch so etwas wie die Anatomie von Gottes Ohr konnte er sich durchaus vorstellen. Ebenso ein zwinkerndes Auge, das ihn – allerdings – im Schlaf erbarmungslos beobachtete, dann eben, wenn Robusti allein mit seinen Träumen war.

DREI
    An einem Dienstag – man erinnere sich –, als er seine Freunde mit ihren Gespielinnen zu verköstigen pflegte, nahm sein Schicksal eine scharfe Wende: ein Sommerabend im Hotel Milan.
    Da war ein Mädchen von neunzehn Jahren.
    Sie hieß Laura. Laura Granati mit vollem Namen; sie befand sich in Gesellschaft eines jüngeren Mannes, der aus der alteingesessenen mailändischen Familie der Dossi stammte.
    Robusti war überwältigt.
    Laura war schön, zart und von prallem Fleisch, das hier und dort bei einer brüsken Bewegung vor süßer Schwere sogar leicht zitterte. Robusti beobachtete, wie sie, während ein zweiter Mann auf sie einsprach, die vollen, ungeschminkten Lippen mit der Zungenspitze befeuchtete und zuhörte, als interessierte sie alles, was ein Mann zu erzählen hat. Was die Männer vor allem beeindruckte, ja verunsicherte, waren ihre unverfrorenen Bemerkungen, die sie mit unschuldigem Gesichtsausdruck hinwarf: Naivität. Ja, das mußte es wohl sein. Naivität. Das Herrische hat nichts gegen das Naive, im Gegenteil. Natürlich döste hier einzig die strategische Gerissenheit eines Weibchens, das schon im Paradies die Schlange als Schmuck um den Arm geringelt und gewickelt hatte, während ein eifersüchtiger Jehova

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