Geographie der Lust
floß über die Tischbeine und Bettbeine, die herumlagen, als hätte der tibetanische Schneemensch Mikado mit ihnen gespielt. Lauras Kleider und selbst zwei Pelzmäntel waren von seinen Zähnen zerfetzt.
Draußen heulte ein Schneesturm.
Naoya Ayakara öffnete wie ein alter Hund langsam die Augen. Auf dem Boden vor ihm standen eine Zwei-Gallonen-Vase und ein Topf mit Honig. In der Zwei-Gallonen-Vase versuchten sich Zehntausende von roten Ameisen immer wieder aus der Masse ihrer Artkollegen zu lösen und die inneren Wände des Glases zu erklimmen, hoffnungslos, unbeirrt.
»Durch alle Stufen unserer Institution habe ich mich emporgearbeitet, Schritt für Schritt. Prostitution, Amphetaminhandel, Drogen, Bodenspekulation, Kunsthandel. Meine bedingungslose Loyalität gegenüber meinen Vorgesetzten habe ich mir zwei Finger kosten lassen«, er zeigte seine Linke, an der Zeige- und Mittelfinger fehlten, »mein Ziel war der Hauthandel.«
Naoya Ayakaras Augenweiß war gelb vor Zorn.
»Dies wird dich zum Sprechen bringen«, sagte er und ließ die Zähne blitzen. Ein gnadenloser Yakuza.
Er erhob sich langsam, trug das Glas zu Lucia und führte es dicht vor ihre Augen. Vor Entsetzen konnte sie die Augen nicht schließen, starrte auf das Gekribbel des Ameisenuniversums und stöhnte.
Ayakara stellte das Glas vor ihre nackten Füße, holte den kleinen Honigtopf und drehte den Deckel auf.
»Ich werde dich nun mit Honig bestreichen«, sagte er, »von der Stirn bis zu den Zehen, hinten und vorn, überall. Die Honigstrafe nennen wir das, wir, die Yakuzas, eine hauseigene Spezialität. Wenn du in voller Süße dastehst, yamyamyam« – er schnalzte mit den Lippen –, »wie ein Zuckerstengel, werden die roten zierlichen Tierchen nicht nur den Honig genießen, sondern auch dich in allen deinen Öffnungen.«
Er schwieg, betrachtete sie. »Dann wirst du mir alles erzählen. Alles. Leider wird es für eine Rettung zu spät sein. Doch die Million müssen wir wiederhaben.«
Naoya Ayakara steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen, drehte den Zeigefinger im Honigtopf um, bückte sich und strich eine Honigspur über den Parkettboden, der von Lucias Zehen bis zu seinem Sessel führte. Er setzte sich wieder, starrte trübselig vor sich hin, riß sich wieder zusammen und griff nach der Zwei-Gallonen-Vase.
Lucia verlor die Besinnung, ging zuerst in die Knie, deren Erstarrung sie bisher aufrecht gehalten hatte, kippte dann vornüber, und man konnte vernehmen, wie ihr Gesicht auf dem Boden aufschlug.
»So ist's recht«, sagte Naoya Ayakara. »So muß es sein.« Seine Lippen verzogen sich zu lasterhaftem Grinsen, und sein Blick fiel auf die tätowierte liebliche Gazelle, die ihren Klumpfuß zierte. Signiert: OMAI.
Xexor, ein wohlwollender und mit tausend Zauberkünsten versehener Engel, berührte mit einem Flügel Naoya Ayakaras Schläfe, und der Engel Xomoy, der selbst von abtrünnigen Kollegen geliebt wurde, berührte seinerseits mit einem Flügel die andere Schläfe unseres Yakuzas.
Xonor, der Dritte im Bunde, blieb im Hintergrund, betrachtete lächelnd die Trümmer und überlegte.
Dein Name, sprach Xonor nun zu Naoya Ayakara, laute von diesem Augenblick an Wu Ho-Ping. Du bist Chinese, sprichst selbstverständlich fließend Chinesisch und natürlich Englisch. Du hast deine japanische Muttersprache völlig vergessen.
Naoya Ayakara verwandelte sich augenblicklich in Wu Ho-Ping, einen Chinesen aus Hongkong.
Und der Engel Xomoy sprach: Sei ohne Sorgen. Du bist Besitzer eines chinesischen Restaurants an der Mott Street. Deine Angestellten werden dich nicht nur erkennen, sie warten bereits auf dich. Und nun sei dir ein langweiliges Leben beschert.
Das war nicht böse gemeint, im Gegenteil. Ein Chinese, der einem Böses wünscht, pflegt nur höflich zu sagen: »Möge dein Leben interessant werden!«
Hierauf wandelten die Engel Xexor und Xomoy zu der ohnmächtig daliegenden nackten Lucia, berührten sie ebenfalls mit den Flügeln, und Xexor sprach:
Erwache, du Schönheit! Du bist verliebt in einen Chinesen namens Wu Ho-Ping, Lucia Florestano. Du stammst aus einer italienischen Familie in Brooklyn, dritte Generation seit der Auswanderung aus Apulien. Leider sprichst du kein Wort Italienisch mehr, doch wird sich eine ungeheure Anzahl italienischer Verwandter bei dir melden, und der Rest deines Lebens wird interessant sein…
Bevor die beiden erwachten, hatte Xonor, als Schalk bekannt, mit seinen gleichsam segnenden Flügeln alles,
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