Georg Büchner - Gesammelte Werke: Dantons Tod, Lenz, Leonce und Lena, Woyzeck, Lucretia Borgia, Maria Tudor (Gesammelte Werke bei Null Papier) (German Edition)
Er blut’.
Woyzeck : Eins nach dem andern.
Kramladen
Woyzeck. Der Jude.
Woyzeck : Das Pistolchen ist zu teuer.
Jude : Nu, kauft’s oder kauft’s nit, was is?
Woyzeck : Was kost’ das Messer?
Jude : ’s ist ganz grad. Wollt Ihr Euch den Hals mit abschneiden? Nu, was is es? Ich geb’s Euch so wohlfeil wie ein andrer. Ihr sollt Euern Tod wohifeil haben, aber doch nit umsonst. Was is es? Er soll ein ökonomischer Tod haben.
Woyzeck : Das kann mehr als Brot schneiden –
Jude : Zwee Grosche.
Woyzeck : Da! – Geht ab.
Jude : Da! Als ob’s nichts wär! Und es is doch Geld. – Du Hund!
Mariens Kammer
Narr liegt und erzählt sich Märchen an den Fingern: Der hat die goldne Kron, der Herr König… Morgen hol’ ich der Frau Königin ihr Kind… Blutwurst sagt: komm, Leberwurst…
Marie blättert in der Bibel: »Und ist kein Betrug in seinem Munde erfunden«:… Herrgott, Herrgott! Sieh mich nicht an! – Blättert weiter: »Aber die Pharisäer brachten ein Weib zu ihm, im Ehebruch begriffen, und stelleten sie ins Mittel dar… Jesus aber sprach: So verdamme ich dich auch nicht. Geh hin und sündige hinfort nicht mehr!« – Schlägt die Hände zusammen: Hergott! Hergott! Ich kann nicht! – Herrgott, gib mir nur so viel, daß ich beten kann. – Das Kind drängt sich an sie. – Das Kind gibt mir einen Stich ins Herz. – Zum Narrn: Karl! Das brüst’ sich in der Sonne! – Narr nimmt das Kind und wird still. – Der Franz ist nit gekommen, gestern nit, heut nit. Es wird heiß hier! – Sie macht das Fenster auf und liest wieder: »Und trat hinten zu seinen Füßen und weinete, und fing an, seine Füße zu netzen mit Tränen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und küssete seine Füße und salbete sie mit Salbe…« Schlägt sich auf die Brust: Alles tot! Heiland! Heiland! ich möchte dir die Füße salben! –
Kaserne
Andres. Woyzeck kramt in seinen Sachen.
Woyzeck : Das Kamisolchen, Andres, ist nit zur Montur: du kannst’s brauchen, Andres.
Andres ganz starr, sagt zu allem: Jawohl.
Woyzeck : Das Kreuz meiner Schwester und das Ringlein.
Andres : Jawohl.
Woyzeck : Ich hab’ auch noch ein Heiligen, zwei Herze und schön Gold – es lag in meiner Mutter Bibel, und da steht:
Herr, wie dein Leib war rot und wund,
so laß mein Herz sein aller Stund.
Andres : Jawohl.
Woyzeck zieht ein Papier hervor: Friedrich Johann Franz Woyzeck, Wehrmann, Füsilier im 2. Regiment, 2. Bataillion 4. Kompanie, geboren Mariä Verkündigung, den 20. Juli. – Ich bin heut alt 30 Jahr, 7 Monat und 12 Tage.
Andres : Franz, du kommst ins Lazarett. Armer, du mußt Schnaps trinken und Pulver drin, das töt’ das Fieber.
Woyzeck : Ja, Andres, wenn ein Schreiner die Hobelspäne sammelt, es weiß niemand, wer seinen Kopf drauflegen wird.
Straße
Marie mit Mädchen vor der Haustür, Großmutter; später Woyzeck
Mädchen :
Wie scheint die Sonn am Lichtmeßtag
und steht das Korn im Blühn.
Sie gingen wohl die Wiese hin,
sie gingen zu zwein und zwein.
Die Pfeifer gingen voran,
die Geiger hinterdrein,
sie hatten rote Socken an…
Erstes Kind : Das ist nit schön.
Zweites Kind : Was willst du auch immer!
Erstes Kind : Marie, sing du uns!
Marie : Ich kann nit.
Erstes Kind : Warum?
Marie : Darum.
Zweites Kind : Aber warum darum?
Drittes Kind : Großmutter, erzähl!
Großmutter : Kommt, ihr kleinen Krabben! – Es war einmal ein arm Kind und hatt’ kein Vater und keine Mutter, war alles tot, und war niemand mehr auf der Welt. Alles tot, und es is hingangen und hat gesucht Tag und Nacht. Und weil auf der Erde niemand mehr war, wollt’s in Himmel gehn, und der Mond guckt es so freundlich an; und wie es endlich zum Mond kam, war’s ein Stück faul Holz. Und da is es zur Sonn gangen, und wie es zur Sonn kam, war’s ein verwelkt Sonneblum. Und wie’s zu den Sternen kam, waren’s kleine goldne Mücken, die waren angesteckt, wie der Neuntöter sie auf die Schlehen steckt. Und wie’s wieder auf die Erde wollt, war die Erde ein umgestürzter Hafen. Und es war ganz allein. Und da hat sich’s hingesetzt und geweint, und da sitzt es noch und is ganz allein. Woyzeck erscheint: Marie!
Marie erschreckt: Was is?
Woyzeck : Marie, wir wollen gehn. ’s is Zeit.
Marie : Wohin?
Woyzeck : Weiß ich’s?
Waldsaum am Teich
Marie und Woyzeck.
Marie : Also dort hinaus is die Stadt. ’s is finster.
Woyzeck : Du sollst noch bleiben. Komm, setz dich!
Marie : Aber ich muß fort.
Woyzeck : Du wirst dir die Füße nit
Weitere Kostenlose Bücher