Georg Büchner, "Woyzeck" - Textausgabe + Lektüreschlüssel
die Behörden nicht hatten habhaft werden können, erfolgreich und flächendeckend verteilt und im November sogar noch weitere 400 Exemplare nachgedruckt; zwar schmiedete man Pläne zur Befreiung der Inhaftierten, die nur knapp scheiterten – doch insgesamt stockte die revolutionäre Arbeit aufgrund der bedrohlichen Ermittlungen. In dieser Situation machte sich Georg Büchner an den bereits lange gehegten Plan, ein Geschichtsdrama zu verfassen, das eine Phase der Französischen Revolution gewissermaßen aus der Innensicht schilderte: den durch Robespierre betriebenen Untergang von Georges Danton und seiner Parteigänger (24. März bis 5. April 1794). Der größere Teil des Dramas widmet sich infolgedessen der politischen und persönlichen Auseinandersetzung der beiden gegensätzlichen Revolutionsführer: Robespierres asketisches Tugendideal und unbedingtes Machtstreben reibt sich an der offenen Selbstbezogenheit und nihilistischen Indolenz (Trägheit) des aufgrund seiner Mitschuld an den Septembermorden des Jahres 1792 ideologisch desillusionierten Danton. In Dantons Augen sind Robespierres Gegnerschaft und sein Hass auf Dantons »Lasterhaftigkeit« lediglich Ausdruck eines kleinbürgerlichen Ressentiments. Durch seine eigene Passivität, seine Missachtung politischen Kalküls macht Danton seine Verurteilung und Hinrichtung (wie die seiner Freunde) erst möglich.
Das Stück, dem ein ausgedehntes Studium der geschichtlichen Quellen vorausgegangen war, entstand Anfang 1835 innerhalb von fünf Wochen. Georg Büchner sandte es dem liberalen Verleger Sauerländer in Frankfurt sowie dem jungen Schriftsteller Karl Gutzkow, der das
Literatur-Blatt
der bei Sauerländer erscheinenden Zeitschrift
Phönix
redigierte. Gutzkow setzte sich für den Druck des Stücks ein, in dessen Text er allerdings stark eingriff, damit es die Frankfurter Vorzensur überstand. Er selbst sprach später von einer »Ruine der Verwüstung« und Büchner hat das Ergebnis nicht anders beurteilt, jedoch mit Gutzkow, der ihn zu weiterer literarischer Produktion drängte, auch in der Folgezeit guten Kontakt gehalten.
Unterdessen waren weitere Festnahmen erfolgt. Seinem Bruder Ludwig zufolge versetzte Georg Büchner die »fortwährende Angst vor Verhaftung, verbunden mit der angestrengtesten Arbeit an
Danton
[…] in der letzten Zeit seines Darmstädter Aufenthalts in eine unbeschreibliche geistige Aufregung […]; er sprach selten, aß wenig und zeigte immer eine verstörte und stiere Miene« (nach Hauschild,
Bildmonographie
, S. 78). Wissend, was das für die Eltern bedeuten würde, bereitete sich Büchner insgeheim auf die Flucht vor. Einer erneuten Vorladung zum Verhör leistete er nicht mehr Folge und tauchte unter, wodurch er einer kurze Zeit später einsetzenden neuen Verhaftungswelle entging. Anfang März floh er nach Straßburg, wo ihn seine Verlobte und die alten Freunde erwarteten. Dort lebte er in der ersten Zeit im Verborgenen. Danach war er bis zum Herbst 1835 unter falschem Namen behördlich gemeldet. Von politischen Zusammenkünften hielt er sich fern. Das Schicksal der in Hessen inhaftierten Freunde verfolgte er mit Sorge und dem schlechten Gewissen des Davongekommenen.
Der Unterstützung durch seine Straßburger Freunde war es zu verdanken, dass Georg Büchner ab Herbst 1835 eine Sicherheitskarte, einen befristeten Ausweis für Straßburg, erhielt, obwohl er seit dem Juni vom Großherzogtum Hessen-Darmstadt steckbrieflich gesucht wurde.
Während der ersten Monate im Exil hatte Büchner mit der Übersetzung zweier Dramen Victor Hugos ins Deutsche Geld verdient. Diesen Auftrag hatte ihm Gutzkow vermittelt, der weitere literarische Arbeiten von Büchner zu erhalten wünschte. Büchner wandte sich daraufhin der Ausarbeitung einer Novelle über den Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz zu, einen Bekannten Goethes aus dessen Studienzeit in Straßburg 1770/71. Lenz hatte nach Goethes Weggang aus Straßburg eine Liebesbeziehung zu Goethes ehemaliger elsässischer Geliebten Friederike Brion angeknüpft und wenig später einen ersten psychischen Zusammenbruch erlitten. Während dieser Krise wurde er vorübergehend im Hause des protestantischen Pfarrers Johann Friedrich Oberlin in Waldersbach im abgelegenen Steintal aufgenommen, der über den Zustand seines Gastes ein ausführliches und genaues Tagebuch führte. Viele der älteren Personen aus Büchners Straßburger Bekanntschaft hatten Oberlin noch persönlich gekannt, waren seine Freunde oder
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